INHALT:
1, Heimat an Este und Elbe
2. Das Elternhaus
3. Kindheit und Schulzeit
4. Beginn einer Karriere: Schiffsjunge auf großer
Fahrt
5. Schiffbruch vor Brasilien
6. Die erste Liebe
7. Als Leichtmatrose Richtung Heimat
8. Wieder daheim
9. Auf See zu neue Ufern
10. Asien
11. Vollmatrose auf der "Pamelia"
12. Mit Passagieren nach Levante
13. Steuermann auf großer Fahrt und Einjähriger.
14. H.M.Gehrkens - Finnland
15. Der erste Weltkrieg
16. Schmerzlicher Abschied von der Kriegsmarine
17. Zwischen den Weltkriegen bei H.M.G. - Mittelmeer
18. Mit der "WANDRAHM" auf stürmischer Fahrt
19. Finnland / Rußland
20. Das Funkpatent
21. Der zweite Weltkrieg
22. Wiederbeginn nach dem Krieg
Heimat an Este und Elbe
(Auszug aus Drestedter Courier, Hauszeitschrift der Ernst
F. Hubert KG 13. 11. 1953)
Die Familie Hubert entstammt dem Alten Land. Zwischen Buxtehude und Cranz,
an der Elbe, wo einmal holländischen Siedler und Deichbauer den Estefluß
überschritten und die Estebrücke erbauten, liegt das Fischerdorf
Estebrügge. Dort sind die Bartels und Behrends, die Feindt und Hauschildt,
die Köpcke und Pickenpack, Palm, Quast und Wegener zu Hause. Hier und
in Cranz, wo die Este in die Elbe mündet und ihre Schiffahrt den Kontakt
mit der weiten Welt fand, ist die Heimat der Familie Hubert.
Immer wieder im Laufe der Jahrhunderte durchbrachen Sturmfluten die Deiche
und zerstörten die mühselig gepflegten Gärten der Obstbauern.
Immer wieder stieß aber auch die Kühnheit dieser Menschen hinter
sicheren Deichen hervor auf die freie See, um den unermeßlichen Reichtum
des Meeres zu ernten. Kampf um das stets bedrohte Land, Kampf gegen Sturm
und See, Bewährung in hundert Gefahren. Kaufmännisches Abwägen,
beharrliche Bestellung des Bodens, verwegene Ausfahrt in alle Meere,
gefahrenvolles Bauern- und Seefahrerleben bildeten den Menschenschlag, der
in Estebrügge und Cranz unter den hohen Fachwerkgiebeln mit den Schwanenköpfen
wie unter den roten Dächern engstehender Schifferhäuser auf den
Deichen zu Hause ist.
Die Seefahrtgeschichte der Hubert begann mit hartem Seemannslos und
Witwentrauer. Paul Hubert aus Estebrügge verließ seinen Handwerksberuf,
um Schiffer zu werden. Vom Streben erfüllt, sich in der Welt zu erproben,
kaufte er sich einen Ewer und fuhr Fracht nach England. Er taufte ihn auf
den Namen seiner Frau "Maria", einer geborenen Kordes aus Estebrügge.
Sein Lebensschicksal wird durch eine zierliche Bleistiftnotiz in einem Familienbuch der Hubert festgehalten:
Paul Hubert, geboren am 14. Januar 1811, am 29. November 1852 vom Hause gegangen, Verloren Dezember 1852.
Im Alter von 41 Jahren blieb Paul Hubert auf See, die sein Schiff mit Mann
und Maus schluckte. Die 37jährige Witwe und sieben unmündige Kinder
blieben allein zurück. Aus eigener Kraft mußte Mutter Maria sie
nähren, kleiden und zu ordentlichen Menschen erziehen. Wie sie das machte,
erscheint auch heute noch fast wie ein Wunder. Mit der Herstellung von Wachskerzen
konnte sie sich ein großes Vermögen erwerben. Schon 1854 gehörte
ihr ein Schiff "Maria 2", dem später die Schiffe "Sidonie", Immanuel"
und "Johanna" folgten. Trotz ihres Kinderreichtums hatte sie es zu einem
solchen Wohlstand gebracht, daß sie bei ihrem Tode am 4. August 1889
jedem ihrer sieben Kinder eine Erbschaft von 14.000,- Mark hinterließ.
Lange hieß es noch voll Bewunderung im Familienkreis "Hut ab vor Mutter
Hubert", wenn man von der großen, blonden Frau sprach, deren Bild in
der guten Stube der Cranzer Wohnung hing, eine ernste, energische Frau im
schwarzseidenen Staat der Altländer Bauerntracht.
Als in jenen traurigen Weihnachtstagen des Jahres 1852 Mutter Hubert vor
dem Nichts stand, war das Haus voller Kinder, die alle ihrer Hilfe bedurften.
Ihr ältester Sohn Johann war gerade erst vierzehn, das jüngste
Kind sieben Monate alt. Johann - oder wie man ihn kurz nannte - Jan
, fühlte Mitverantwortung, empfand die Schwere des Schicksals, das über
die Mutter und über die Kinder hereingebrochen war. Und Jan wollte mitverdienen,
um es der Mutter leichter zu machen.
So kam Jan mit vierzehn Jahren zu seinem Onkel in Neuhaus in die Lehre. Aber, wie der Vater, hielt auch er es bei dem biederen Handwerk nicht lange aus. Er ging zur Seefahrt über, und mit 22 Jahren führte er als Kapitän selbständig das erste Schiff seiner Mutter. Zwei Jahre später heiratete er die Tochter des angesehenen Cranzer Schiffsreeders und Kapitäns Nikolaus Wettern. Jan Hubert und seine jungvermählte Frau Engel machten ihre Hochzeitsreise auf dem Schiff "Johanna".
In Genua konnte der junge Kapitän seiner Frau etwas von der Schönheit der Welt zeigen, von der alle jungen Herzen hinter den Este- und Elbdeichen träumten. Der welterfahrenen Schwiegervater mochte dem jungen Jan Hubert einen guten Start ins Leben gegeben haben, denn schon bald stand Jan am Steuer seines dritten Schiffes, der schnellen "Antelope", die er lange auf Südamerikafahrt führte und deren Besitzer und Reeder er als Partenreeder mit seinem Schwiegervater zusammen war. Die "Antelope" wird damals eines der schnellsten Schiffe der Cranzer Flotte gewesen sein und segelte regelmäßig auf der Linie Hamburg - Rio.
Nach der Hochzeitsreise begleitete Engel ihren Mann nicht mehr auf seinen Fahrten; denn nach Rückkehr von der ersten Reise nach Südamerika kam schon eine kleine Maria in dem Hause in Cranz an, das Schwiegervater Wettern 1851 gebaut hatte und in dem Jan und Engel nun wohnten. Ihre erste Tochter nannten sie Maria nach Jans tüchtiger Mutter, wenig später folgte Emma, dann Pauline. Erst das vierte Kind wurde ein Junge: Ernst Franz, der 1903 eine Tranfabrik in Drestedt bei Hollenstedt gründete. Ihm folgten noch zwei Brüder: Johannes und Gustav. Johannes wurde Kapitän bei der Reederei H.M.Gehrkens und ist die Person, um dessen Autobiographie es hier geht, Gustav ging als Exportkaufmann nach Südamerika (Bolivien).
Mit zunehmender Kinderschar und wachsendem Wohlstand betrieb Jan Hubert dann ab 1875 seine Partenreederei von Cranz aus und sorgte dafür, daß die um viele weitere Neubauten vermehrte Flotte gut ausgerüstet und richtig eingesetzt wurde. "Magnet" - "Wilhelmine" - "Allemania" - "Axel" - "J.G.Fichte" - "Hinrich" - "Alwine" - "Gottlieb" - "Emilie Hessenmüller" hießen die Schiffe der Reederei Hubert, und Kapitän Jan selbst setzte den Dampfer "Este" für der Passagier- und Frachtverkehr auf der Elbe und Unterelbe in Betrieb, den sein Schwiegervater Nikolaus Wettern zusammen mit Kapitän Behr 1859 in London gekauft hatte.
In dem kinderreichen Cranzer Hause Jan Huberts herrschte in jenen blühenden
Jahren reges Leben. Alle Hände von Groß und Klein wurden gebraucht,
wenn eines der vielen Segelschiffe eine Reise antreten sollte. Bei der Verproviantierung
der eigenen Schiffe mußte die ganze Familie des Schiffsreeders mithelfen.
In dem Schuppen hinter dem Wohnhaus und auf dem gepflasterten Hofplatz saßen
die Frauen und Mädchen und schnitten Bohnen, hobelten Weißkohl
und salzten das Gemüse ein oder bereiteten Sauerkohl. Ochsen wurden
geschlachtet und das Fleisch in große Pökelfässer eingesalzen.
Dann kam der Küper aus Neuenfelde herüber und verschloß die
Fässer, damit sie in den Provianträumen an Bord verstaut werden
konnten. Diese Vorräte mußten für lange Reisen ausreichen,
dauerte eine Reise nach Südamerika doch mit dem Segelschiff zwei bis
drei Monate. Gepökeltes, Sauerkohl, Salzbohnen und Schiffszwieback -
daraus konnte der Smuttje keinen abwechslungsreichen Speisezettel an Bord
zusammenstellen. Gemüse, vitaminreiche Frischkost hatte er nicht zur
Verfügung, und so stellten sich damals leicht Nahrungsschäden wie
Skorbut ein, wenn die Männer auf langen Seereisen unterwegs waren. Gerade
in der Seefahrt hat man deshalb zuerst erkannt, was für eine wichtige
Rolle die Vitamine für die menschliche Ernährung spielen.
Wenn die Brüder von ihren Reisen zurückkehrten, füllte sich
die kleine Wohnung in Cranz mit allerlei exotischen Erinnerungen aus fremden
Ländern. Manches Abenteuer, manch schwierige Lage wurde nach der Heimkehr
getreulich berichtet.
Das Jahr 1888 bedeutet für die Cranzer Kapitäne und Reeder ebenso
wie für die deutsche Hochseefischerei eine Wende. In diesem Jahr gründeten
17 Cranzer Kapitäne eine "Gesellschaft zwecks Beschaffung eines Fischdampfschiffes,
womit Seefischerei betrieben resp. der Transport von in der Cranzer Fischerkasse
versicherten Fischkuttern oder Ewern gefangenen Fischen zum Markt geschehen
soll."
Bis dahin waren die Finkenwärder und Blankeneser Fischkutter in der
Hochseefischerei führend. Aber sie konnten ihre Fänge nicht so
schnell auf den Fischmarkt bringen wie die schnellen, vom Wind unabhängigen
Fischdampfer, die zuerst in England gebaut wurden und dann nach Deutschland
kamen. Wenn die Dampfer bereits ihre Ladung gelöscht hatten, kreuzten
die Fischkutter noch gegen den Elbwind stromauf und lieferten ihre Fänge
auf dem Fischmarkt ab, nachdem sie viele Tage , fast Wochen in der Bünn
gelagert hatten.
So wurde der Kaufmann August Bröhan in Cranz und dessen nächste
Anverwandte, alte Segelschiffskapitäne und Seefahrer, die sich mit der
Fischerei nie abgegeben hatten, Gründer der ersten Fischdampferreederei
an der Niederelbe, und lange noch haben die niederelbischen Kutterfischer
in einer Mischung aus Neid und Hochachtung die Cranzer Fischdampfer spöttisch
die "Bauerndampfer" genannt, weil die Besitzer keine Leute "vom Fach" waren.
Aber die Cranzer gingen mit solcher Tatkraft an die neue Aufgabe, daß
sie schon bald keine Fischmeister mehr an Bord brauchten, die sie anfangs
noch einstellen mußten.
Einer der führenden Leute der Cranzer Dampffischerei war von Anfang an
Jan Hubert. Zusammen mit dem alten Cranzer Segelschiffkapitän Hein Fock
und dem jungen Gemeindevorsteher August Bröhan gehörte er zum Kreise
der Bevollmächtigten, die den Bau des ersten Fischdampfers in Auftrag
geben und überwachen sollten. Der schon bald nach der Probefahrt des
ersten bei Jürgens & Co. auf Steinwärder erbaute zweite Fischdampfer
erhielt auch dann den Namen der beiden Mitbegründer der Fischdampfergesellschaft
"Fock und Hubert". Es kam die "Witt" und "Bartels" dazu. Die beiden Dampfer
hatten jeweils 115.000,- Mark gekostet. Das konnte in so kurzer Zeit gemacht
werden, wil in dieser Zeit die Dampfer nie unter 20% Dividende abwarfen.
Jan Hubert hat sich als Vorstandsmitglied der Cranzer Fischdampfergesellschaft
bis zu seinem Tod dem Bau neuer Fischdampfer und der Geschäftsführung
der Gesellschaft gewidmet. Nach 17jähriger Vorstandstätigkeit starb
er im Alter von 67 Jahren auf einer Inspektionsreise nach Geestemünde,
wo er die Bauarbeiten an dem Neubau des Fischdampfers "Neuenfelde" beaufsichtigen
wollte.
Das Elternhaus
(Autobiographie Johannes Hubert)
Als siebentes Kind des Reeders und Kapitäns Johann Hubert und seiner
Ehefrau Engel, geb. Wettern, wurde ich am 16. l0. l879 in Cranz an der Elbe
geboren. Ob es stimmt, weiß ich nicht, aber noch heute behaupten alle
Geschwister, ich sei der Liebling und Verzug der ganzen Familie gewesen, obwohl
ich nicht einmal das Nesthäkchen war. Ich selber hatte aber niemals
den Eindruck besonders bevorzugt behandelt worden zu sein.
Meine Eltern hatten im Alten Lande ein schönes großes Haus direkt
am Elbe- und Estedeich gelegen. Der Obstgarten, aber besonders die Este und
Elbe, waren für uns Kinder die Quellen vieler Erlebnisse. Mein Vater,
früher Seekapitän, fuhr auf den damals doch recht kleinen Seglern
von Hamburg nach Brasilien, Argentinien, Südafrika, China usw.
Die Schiffchen hatten durchschnittlich eine Größe von zirka 300
Ladetonnen. Meine Mutter machte Fahrten nach Brasilien und China mit und
wenn man sich heute die Bilder der Schiffe ansieht, muß man den Mut
dieser Frau bewundern.
Später blieb mein Vater dann an Land und gründete mit einigen Freunden eine Segelschiffsreederei, deren Schiffe ungefähr 300 Ladetonnen groß waren. Alle Erdteile wurden mit diesen kleinen Nußschalen angelaufen. Einen kleinen Raddampfer hatte mein Vater auch noch, er hieß "Este" und machte Passagierfahrten zwischen Cranz und Buxtehude sowie zwischen Cranz und Hamburg.
Scheinbar lohnten sich diese Fahrten, sie brachten Geld ein, und das Finanzamt
hatte damals bescheidenere Ansprüche, so konnten dann später noch
zwei Ziegeleien ins Leben gerufen und ein Eisschuppen gebaut werden. 500
Tonnen Eis faßte der Schuppen, und die Hamburger Fischdampfer waren
dankbare Abnehmer. Das Eis wurde von einem abgeteilten Land der Ziegeleien
agenommen, nachdem dort im Herbst Wasser eingefüllt worden war und es
dann gefroren war. der Eisschuppen wurde 1920 abgebaut, da durch das Aufkommen
des Kunsteises dieses Geschäft sich nicht mehr lohnte. Die Ziegeleien
wurden 1904 stillgelegt, weil nicht mehr genug Land zur Verfügung stand.
Die "Este" wurde 1910 verschrottet.
Einige unserer Schiffe gingen im Laufe der Jahre auf See verloren, so z.B.
die "Allemania", die auf einer Reise von La Plata nach Valparaiso bei Kap
Horn unterging. Von deren Besatzung hat man nie wieder etwas gehört.
Man hatte ja früher keine Funkgeräte und konnte so in Seenot keine
Hilfe anfordern. Die "Johanna" verscholl auf einer Reise von Italien nach
Hamburg und die "Axel" strandete 1895 vor Macao (Brasilien) und wurde schwer
havariert nach Macao gebracht. Man erklärte das Schiff dort für
reparaturunfähig und mein Vater verkaufte es dann für 4.000 Mark.
Die "Antelope" blieb für einen Kaufpreis von 24.000 Mark in Brasilien.
"Wilhelmine" wurde in Deutschland für 32.000 Mark verkauft, "Magnet"
in England für 12.000 Mark und "Emilie Hessenmüller" wechselte
in Deutschland für 52.000 Mark den Besitzer. (Anm: laut einer
Untersuchung des Seeamtes zu Hamburg sank der
Dreimastschoner "Emilie Hessenmüller" am 19. September 1891 im Ärmelkanal nach
einer unverschuldeten Kollision mit dem Belgischen Dampfer
"La Flandre"). "I.G. Fichte" ist dann
später auch verschollen.
Die Segelschiffahrt lohnte sich auch in der Zeit schon nicht mehr, man
mußte sich umstellen, denn von den neuzeitlichen Dampfern konnte man
mehr erwarten. So fing man nun an, Fischdampfer zu bauen. Auf einer Fahrt
nach Bremerhaven, wo mein Vater gerade wieder einen Fischdampfer bestellt
hatte, wurde er von einem Herzschlag ereilt und starb einige Stunden später.
Meine Mutter starb am 21.11.1931 drei Tage vor ihrem 90. Geburtstag. Meine
Schwester Maria Catherina heiratete den Kapitän Ulrich, Emma Anna blieb
unverheiratet, Pauline ehelichte Heinrich Popp. Mein Bruder Ernst heiratete
Lissy Fock und mein Bruder Gustav Käte Röhrs.
Aber ich will ja meine Lebenserinnerungen schreiben, da muß ich dann
wohl erst mal bei der Schulzeit beginnen. Zunächst besuchte ich die
Schule in Cranz und, wenn ich heute meine Zeugnisse betrachte, muß ich
feststellen, daß ich eigentlich ein ganz guter Schüler war, mein
Sohn darf sich ruhig die Zeugnisse seines Vaters ansehen.
Als Kinder, und noch dazu als Seemannskinder, zog es uns natürlich
in jeder freien Minute ans Wasser und es gab dort nichts, was uns nicht interessiert
hätte, alles mußte untersucht werden. An irgendwelche Gefahren
dachte keiner von uns Buttjes, wir fühlten uns schon als Kapitäne
auf großer Fahrt, jede Planke war uns recht und die Ufer der Este und
Elbe waren für uns damals die große Welt. Im Winter, wenn die
Elbe zugefroren war, zogen wir schon frühmorgens los, schlugen Löcher
ins Eis und setzten Quappenangeln aus. Leckerbissen für die Quappen
waren kleine Aalstückchen, die wir kunstgerecht an die Angelhaken befestigten;
nachmittags wurde dann die Beute eingeholt - es lohnte sich immer - und Mutter
freute sich dann über den Fischsegen. Bei starkem Frost war dieser Angelsport
ohne Gefahr, aber welcher Junge versucht nicht, auch aufs Eis zu gehen, wenn
es schon so schön brüchig ist und so schön gefährlich
knistert. Wir wagten da oft allerhand und Mutter hätte vorzeitig graue
Haare bekommen, wenn sie gewußt hätte, was ihre Buben da unten
am Wasser für gefährliche Spiele trieben.
Eines Tages war es dann auch so weit. Tauwetter hatte eingesetzt und
wir wollten unsere kostbaren Angeln nicht opfern. Also betraten wir die schon
sehr brüchige Eisfläche und tasteten uns Schritt für Schritt
auf unser Jagdgebiet zu. Es knackte hie, es knackte dort und ehe wir uns
versahen, hatte sich eine Scholle gelöst - natürlich gerade die,
auf der wir standen - und trieb ab. Es war uns nun gar nicht mehr wohl, die
Freude am gefährlichen Spiel erschien uns nun doch recht zweifelhaft.
Wir trieben mit der tückischen Scholle elbabwärts und wußten
nicht, wie wir wieder an Land kommen sollten. Wie richtige Schiffbrüchige
kamen wir uns vor und an Rettung glaubten wir auch nicht mehr.
Nachdem wir ungefähr 6 Kilometer abgetrieben waren, lief unsere Scholle
an ein Stack, das bei Hinterbrack in die Elbe hinausgebaut war. Das war unsere
Rettung. Jetzt aber hieß es, ungesehen nach Hause zu kommen, denn jetzt
steckte in jedem von uns so eine kleine Angst vor dem häuslichen Ungewitter
in den Gliedern und ließ uns die ausgestandene Angst vergessen.
Zu Hause angekommen erzählten wir natürlich nichts von unserem großen
Abenteuer, aber im Dorf hatte sich unsere Schollentour doch herumgesprochen
und die Jungens, die nicht mit von der Partie waren, machten auch gleich
Spottverse auf unsere Reise. Sie sangen bei jeder Gelegenheit hinter uns
her
Der Seemannsberuf steckte wohl in besonderem Maße bei mir im Blut,
denn als einziger meiner Brüder beschloß ich, Seemann zu werden.
Meinen Vater freute das sehr und er meinte zu meinem Entschluß, da müsse
ich erst einmal eine Ausbildung im Segelnähen bekommen, damit ich auch
später Segel flicken könnte. So hatte ich mir das eigentlich nicht
gedacht, aber wenn mein Vater das meinte, mußte es sicher dazugehören.
So erlernte ich das Segelnähen beim Segelmacher Köster in Cranz.
In der Freizeit war ich meistens unten am Wasser und träumte von den
zukünftigen großen Erlebnissen, die ich sicher haben würde.
Eines Tages - es war um die Mittagszeit - hörte ich lautes Geschrei von
mehreren Kindern, die schrien "Hilfe, Hilfe he verdrinkt!" Ich renne hin
und sehe noch gerade, wie ein siebenjähriger Junge in der Este wegsackt.
Schnell hatte ich meine Schuhe ausgezogen, meine Jacke flog im hohen Bogen
durch die Gegend und ich sprang ins Wasser. Der Junge kam zum Glück
noch einmal hoch, ich bekam ihn zu fassen und schwamm mit ihm an das Ufer.
Ich fühlte mich als Lebensretter richtig glücklich und die Mutter
freute sich sehr, ihren Jungen wieder lebendig im Arm halten zu können.
Beginn einer Karriere: Schiffsjunge auf großer Fahrt
1894 wurde ich konfirmiert und aus der Schule entlassen.Im Juli sollte
dann für mich das "große Erlebnis" meines jungen Lebens stattfinden,
meine erste Reise. Zu dieser Zeit hatte mein Vater seine Schiffe noch nicht
verkauft und ich sollte meine seemännische Ausbildung auf den väterlichen
Schiffen erhalten. Mein Vater hatte seinen Dreimastschoner "Axel" in Hamburg
liegen mit Stückgutbeladung für Pernambuco in Brasilien und auf
diesem Schiff wurde ich als Schiffsjunge angeheuert. Die Besatzung bestand
aus acht Mann. Noch heute weiß ich genau aus welchen Sachen meine Ausrüstung
bestand: drei Wollhemden, drei Unterhosen, vier Paar Wollstrümpfe, ein
Sonntagsanzug, zwei Arbeitsanzüge, zwei Schals, ein Paar Seestiefel,
ein Paar Schuhe, ein Paar Hausschuhe, ein Ölmantel, eine Ölhose,
ein Südwester, eine Matratze, zwei Wolldecken, Kleinigkeiten wie Seife,
Zahnbürste etc. Das war alles. Diese Ausrüstung kostete etwa 300
Mark. Nun fing auch ich an zu verdienen und bekam im Monat 12 Mark Heuer.
Voller Erwartung trat ich meine erste Seereise an und wie jeder Junge träumte
ich von wilden Abenteuern. Der Kapitän hatte seine Frau und zwei Kinder
an Bord, die diese Reise mitmachten. Es gibt später noch allerlei von
dieser Reise zu erzählen. Bis Glückstadt wurde unser Schiff von
einem kleinen Schlepper "Goliath" geschleppt, dann wurden die Segel gesetzt
und mit eigener Kraft segelten wir bis Cuxhaven, wo der Lotse von Bord ging.
Unter vollen Segeln fuhren wir dann durch die Nordsee, am 2. August 1894
passierten wir Dover und segelten mit gutem Wind durch den englischen Kanal.
Im Ozean machte ich aber schon die erste Bekanntschaft mit schweren Stürmen,
wir mußten die Segel bergen und mit kleinen Segeln weitersegeln.
Das oberste Segel, Royal genannt, mußte vom Schiffsjungen - das war
ich - festgemacht werden. Also rauf, sich mit Füßen und Beinen
festhaltend, mit den Händen arbeiten. Es ist gar nicht so leicht, wie
es aussieht, denn bei Sturm liegt ein Schiff wahrlich nicht ruhig in der
See und oben spürt man die Schwingungen bedeutend stärker als unten.
Die Reise ging so weiter, bis wir den NO Passatwind 35°Nord antrafen.
Der Wind blies dort mit einer Stärke von Beaufort 8. Man kann ihn gut
ausnutzen, da er bei SSW-Kurs von achtern kommt.
Nach 30 Tagen wurde der Äquator passiert, natürlich kam dort auch
Neptun an Bord, um die übliche Taufe vorzunehmen. Wer noch keinen Taufschein
hatte, wurde erst einmal ordentlich eingeseift, mit einem großen Holzmesser
rasiert und dann "sanft" unter Wasser gedrückt. Damit war die Taufe
vollzogen und Neptun überreichte den Taufschein. Für mich war es
mit meinen eben 14 Jahren ein Erlebnis.
Ende September 1894 kamen wir nach einer 35-tägigen Reise in Pernambuco
(das heutige Recife) an. Die Freude war sehr groß, denn nun gab es endlich
wieder frisches Fleisch, Gemüse usw., denn das ewige Salzfleisch, Salzspeck
und der Klippfisch hingen uns schon zum Halse heraus. Nach den üblichen
Formalitäten durften wir an Land. Es war angenehm, mal wieder festen
Boden unter den Füßen zu haben. Leider währte der Urlaub
nicht lange, denn die Ladung mußte gelöscht werden. Dies bedeutete
damals eine echte Schinderei, denn alles mußte mit Handwinden rausgedreht
werden. Früh um sechs hieß es "Alle Mann an Deck!" und bei 30°
im Schatten war dann die Arbeit eine Qual. Wenn um 12 Uhr Mittagspause war,
haute man sich irgendwo in eine schattige Ecke, um etwas auszuruhen. An Essen
dachte niemand, man hätte doch keinen Bissen heruntergekriegt. Um ein
Uhr ging es dann weiter bis abends um sieben. Anschließend mußte
dann noch das ganze Schiff geschrubbt werden. Das Schiffsdeck wurde außerdem
ständig naß gehalten, um ein Austrocknen der Planken zu verhindern.
Den Achtstundentag gab es damals noch nicht. Kam man aber endlich todmüde
in die Koje, ließen einen die Moskitos keine Ruhe, von den Ratten ganz
zu schweigen. Drei Wochen hatten wir im Hafen zu tun, nur der Sonntag gehörte
uns. Daß wir uns die ganze Woche darauf freuten, kann man wohl verstehen.
Am 1. Oktober war das Schiff leer. Es wurde mit Sandballast aufgefüllt
und weiter ging es zum nächsten Ziel Macao, etwa 1000 Seemeilen von Pernambuco
entfernt. Acht Tage dauerte die Fahrt. Macao war damals ein kleiner Hafen
mit 500 Einwohnern, samt und sonders Eingeborene außer einem 70-jährigen
Hamburger, der dort eine kleine Bierwirtschaft betrieb. Da Macao keine Kaianlagen
hatte, mußten wir auf Reede bleiben. Genau an meinem 15. Geburtstag
wurde mit Laden begonnen. Es sollten 100 Tonnen Salz und 1000 Ballen Baumwolle
übernommen werden. Zwei Tage brauchten wir erst einmal, um den Sandballast
loszuwerden. Der Einfachheit halber wurde er einfach über Bord geschaufelt.
Insgesamt 10 Tage brauchten wir also, um die Ladung aufzunehmen. Abends war
die Luft dick von den Moskitoschwärmen, so daß man nicht atmen
konnte, ohne diese Insekten zu schlucken. Diese Plage war manchmal nahezu
unerträglich, aber man war ja jung, da nahm man das alles ohne viele
Worte als Tatsache eben hin.
Am 27. Oktober lichteten wir frühmorgens die Anker, setzten die Segel
und bei einer frischen Brise kamen wir gut vorwärts. Nach 12 Seemeilen
hatten wir offenes Wasser erreicht, aber vor dem tiefen Wasser war noch eine
Barre (Sandbank) zu passieren. In deren Höhe stieß das Schiff
durch die Dünung durch und sprang infolge der starken Stöße
auf die Sandbank leck. Wir gaben Notsignale, d.h. wir schossen einige Raketen
ab, die gottlob an Land gesehen wurden. Nach einiger Zeit kam ein kleiner
aus Holz gebauter Schlepper, der uns - nachdem wir ein Teil der Ladung über
Bord geworfen hatten - nach Macao zurückbrachte. Der Rest der Ladung
ging an den Ablader zurück. Die anschließende Besichtigung des
Schadens ergab, daß das Schiff nicht mehr reparaturfähig war.
"Axel" sollte nun verschrottet werden und wir saßen in Macao, auf Nachricht
wartend, was weiter geschehen sollte. Im November wurde die gesamte Besatzung
bis auf den Kapitän, dessen Familie, den Koch und mich als Schiffsjunge
abgemustert und über Pernambuco nach Hause geschickt.
Für uns Zurückgebliebene fing nun eine langweilige Zeit an. Es
wurde gefischt, gefischt und nochmals gefischt. Ein Tag verging wie der andere.
Ging das Geld aus, wurde etwas vom Inventar verkauft, ansonsten warteten
wir auf ein Wunder, das uns in die Heimat zurückbringen würde. Weihnachten
verlief ruhig und still, in der Sehnsucht in der Heimat zu sein.
Im Januar 1895 stellte sich an Bord ein erzählenswerter Zwischenfall
ein. Der Kapitän war gerade an Land gegangen, als wir - der Koch und
ich - aus der Kajüte des Kapitäns lautes Schreien hörten. Wir
rannten hin und sahen die Frau des Kapitäns sich vor Schmerzen windend.
Sie hatte eine Fehlgeburt und da an Bord keine andere Hilfe war, mußten
wir Hebammendienste leisten. Der Koch eilte los, um den Kapitän zu suchen
und einen Arzt zu finden. In dieser merkwürdigen Situation mußte
ich 15-jähriger Bengel der Frau behilflich sein. Ich hätte nie
gedacht, daß zu einer Seemannsausbildung auch Wöchnerinnenhilfe
gehört. Erst nach zwei bangen Stunden kam der Kapitän und brachte
einen Arzt mit. Alles war aber inzwischen gut abgelaufen und zu meiner Erleichterung
wurde ich von meinem Posten abgelöst. Die Frau des Kapitäns erholte
sich bald wieder und alle waren heilfroh, daß sie wieder wohlauf war.
Immer noch waren wir in Macao und niemand wußte, wie lange wir dort
noch aushalten mußten.
Da traf uns im Juli ein schwerer Schicksalsschlag. Unser Kapitän
erlag einem Herzschlag. Es war gegen abend, als er starb. Wegen der großen
Hitze konnte die Beerdigung nicht lange hinausgeschoben werden, d.h. es mußte
schnell gehen. Der Arzt kam an Bord und stellte die Sterbeurkunde aus. Holz
für einen Sarg gab es in dem Nest nicht, also mußten wir an Land
aus Kisten, in denen Streichhölzer verladen wurden, einen Sarg zimmern.
Damit er nicht gar so armselig aussah, nagelten wir schwarzen Stoff auf das
Holz.
Es war fast Mitternacht, als wir mit einem Kanu zum Schiff zurückruderten.
Als wir den Sarg per Flaschenzug fast an Bord gehievt hatten, fiel uns der
Deckel runter und da er aus sehr dünnem Holz war, zersplitterte der
Deckel in tausend Stücke. Abermals fuhren wir los und besorgten uns
das Material, um einen neuen Deckel zu zimmern. Nachdem uns das gelungen war,
betteten wir unseren toten Kapitän in diesem primitiven Sarg. Uns war
recht schwer ums Herz, denn wir mochten ihn gern. Seine Familie tat uns so
leid, weil sie ihren lieben Toten in fremder Erde lassen mußten.
Um sechs Uhr morgens ruderten wir dann mit einem kleinen Boot und unserer
traurigen Last in die Nähe des Friedhofes, eine Strecke von gut 10 Kilometer.
Wir mußten mit dem Sarg dann noch zwei Kilometer durch Wüstensand.
Weil wir immer wieder einsackten, verfielen wir dauernd in Trab. Es waren
jeweils sechs Träger und wir mußten uns wegen der großen
Anstrengung oft abwechseln. Auf dem Friedhof mußten wir feststellen,
daß die von uns mühsam ausgeschaufelte Grabstätte wieder
eingefallen war. So mußte bei 40° die Arbeit nochmals getan werden.
Drei weitere Boote mit "Leidtragenden" kamen noch, sicherlich weitgehende
Neugierige, denn so viele Leute kannten wir in dem fremden Land gar nicht.
Einen Pastor gab es natürlich nicht, so mußte ich zur Abwechslung
mal den Pastor ersetzen, die Trauerrede halten und das Vaterunser sprechen.
Nach der Zeremonie meinte der Koch, daß unser guter Kapitän auch
ein Kreuz auf sein Grab bekommen sollte. Wir hatten denn auch bald ein paar
Balken aufgetrieben und zimmerten ein Kreuz. Wir hatten gut drei Wochen mit
dem Einschnitzen der Inschrift zu tun. Sie lautete:
Dieses Kreuz brachten wir dann eines Tages zum Friedhof und waren froh,
daß unser "Alter" wenigstens einen Grabstein hatte, wenn auch nur in
Form eines einfachen Holzkreuzes, das wir mit um so mehr Liebe gezimmert und
geschnitzt hatten. Frau Lünstedt quartierte sich an Land ein, von wo
sie mit ihren Kleinen am 20. Juli via Pernambuco nach Hamburg zurückkehrte.
Nun waren der Koch und ich alleine an Bord zurückgeblieben. Wir lernten
im Laufe der Zeit allerlei Menschen kennen. Wir wurden auch oft eingeladen
von dem Ablader, einem Kaufmann, der mit meinem Vater in Geschäftsbeziehungen
stand und nebenbei Plantagen und Salinen besaß. Er hatte einen Sohn
von 10 Jahren und eine Tochter von 14 Jahren. Hier geschah es, daß ich
zum ersten Mal mein Herz verlor.
Eines Tages hatte ich einen kleinen Unfall und wurde bei der Familie Herculanum
sechs Wochen lang aufgenommen, gepflegt und verwöhnt. Besonders die
kleine Elisabeth bemühte sich sehr um mich. Da war es kein Wunder, daß
ich mich in sie verliebte und fest entschlossen war, sie eines Tages zu heiraten.
Elisabeth's Eltern mochten mich auch gerne, sie hätten mich am liebsten
gleich dabehalten. Ich sollte dann später ins Geschäft einsteigen
und es übernehmen. Daß ich für den Plan Feuer und Flamme
war, wer könnte das nicht verstehen, aber ...................
Nach sechswöchigem Aufenthalt bei meinen liebenswürdigen Gastgebern
war ich "leider" wieder gesund und mußte wieder an Bord zurück.
Wir besuchten uns dann noch monatelang gegenseitig. Ich hatte schon nach
Hause geschrieben, daß ich in Macao bleiben und Elisabeth Herculanum
heiraten wolle. Da hatte ich aber ganz schön ins Fettnäpfchen getreten.
Meine Eltern werden schön gewettert haben, jedenfalls hatte Vater an
seinen Kapitän Peters geschrieben, der in Pernambuco die "Wilhelmine"
löschte, daß er sich um den verliebten Sohn in Macao kümmern
möge. Es wurde wieder Weihnachten und Neujahr 1896.
Am 10. Februar 1896 kam unerwartet Kapitän Peters in Macao an und ich
war über den Besuch ziemlich erstaunt. Schnell stellte sich heraus,
daß er Order von meinem Vater hatte, die "Axel" zum Abwracken zu verkaufen
und mich nach Hause zu befördern. Nun hieß es Abschied nehmen,
es flossen endlos Tränen, aber es half nichts, ich mußte mit.
Bis alles erledigt war, wohnte ich noch mit Kapitän Peters in einem
Hotel, d.h. das was man dort so Hotel nannte. Hängematten und drunter
liefen Schweine, Hühner und Gänse herum. Über meine Erlebnisse
in Macao wußte die Drestedter Familienchronik vor einigen Jahren folgendes
zu berichten:
Mit einem kleinen Passagierdampfer fuhren wir nach Pernambuco und dort
wurde ich als Leichtmatrose mit 35 Mark Heuer auf der "Wilhelmina", ein Schwesterschiff
der "Axel" angemustert. Nun konnte die Arbeit wieder losgehen und bei 40°
Hitze mußten Stückgüter gelöscht und Sandballast geladen
werden. In Pernambuco herrschte außerdem noch die Pest, aber wir blieben
davon verschont. Auf vielen aneren Schiffen war die gesamte Besatzung dieser
furchtbaren Epidemie zum Opfer gefallen. Wir aber fuhren nach Mosseiro weiter,
1200 Seemeilen von Pernambuco entfernt. Man mußte, um den Hafen zu
erreichen, noch viele Kilometer einen Fluß befahren und waren bald
vom Urwald umgeben. Da aber auch noch eine Flaute eintrat, mußten wir
unser Schiff festmachen und zwar wurde es an einem Urwaldbaum vertäut.
Nun hieß es, auf die nötige Brise zu warten, und es dauerte zehn
Tage bis wir endlich den Ladeplatz erreichten. Kamen wir mal wieder
wegen zu großer Flaute nicht weiter, kletterten wir von Bord und schlugen
uns im Urwald das nötige Holz, um unseren Ofen in der Kombüse in
Gang zu halten. Viele Schlangen gab es da , Kobras usw., mit denen man natürlich
nicht gerne in Berührung kommen wollte, denn früher hatte man noch
nicht das Gegengift, was uns bei einem eventuellen Biß hätte retten
können.
Eines morgens, wir hatten gerade unsere Segel zum trocknen aufgehängt,
wäre es beinah passiert, daß so eine Natter ihr Opfer gefunden
hätte und das wäre ich gewesen. Vorne auf dem Klüverbaum lag
das Klüversegel und ich sollte es wieder festmachen. Als ich es auseinanderschlug,
kam doch eine große Kobra direkt vor mir hoch. Ich konnte nicht zurückweichen,
denn die Schlange versperrte mir den Weg. Ich schrie laut um Hilfe und der
Lotse, der gerade an Bord war, hörte meinen Schrei und ahnte nichts
Gutes. Er kam gleich mit einer Handspake angerannt, schlug auf die Schlange
ein und traf sie zum Glück, so daß sie über Bord fiel und
so war mein Leben gerettet. Dieses unheimliche Reptil war sicherlich nachts
über das Festmachetau an Bord gekommen.
Im Hafen luden wir Salz. Es wurde von Eingeborenen auf ihren Köpfen in
Körben an Bord getragen. Die Moskitoplage war kaum auszuhalten. Wir
waren selbst nur noch ein einziger Mückenstich. Unsere Salzladung war
für Brasilien bestimmt. Dort wurden mit dem Salz Ochsenfleisch und Felle
eingepökelt.
Am 26. März 1896 wurden die Trossen losgemacht und flußabwärts
machten wir uns auf den Weg nach Rio Grande del Sul und Porte Allegro. Auf
dem Fluß wurden Wassersegel gesetzt. Das sind Segel, die unter Wasser
gesetzt werden. Der Strom läuft dann dagegen an und treibt das Schiff
vorwärts. Gerade noch vor Dunkelheit erreichten wir die freie See, ein
Glück, denn sonst hätten wir noch eine Nacht den Kampf mit den
Moskitos aufnehmen müssen.. In den dunklen Nächten war es so finster,
daß man nicht einmal das Ufer erkennen konnte. 3600 Meilen dauerte
die Fahrt, bis wir in Rio Grande ankamen. Auf See blieb es bei dem
ewigen Einerlei, Wache schieben , und was es sonst so am Tage an Bord zu
tun gab.
Das Wetter war einigermaßen, da konnten wir uns dieses Mal nicht beklagen.
Im Hafen war es mit dem Zoll genau so, wie es heute noch ist, jeder Winkel
an Bord wurde untersucht. Das Löschen der Ladung dauerte neun
Tage, es waren nur 150 Tonnen, aber wir mußten ja alles alleine bewältigen,
dabei die mörderische Hitze und kein Sonnensegel.
Am 21. Mai fuhren wir weiter nach Porto Allegro, aber da war das Wetter
schlecht, es wehte ein Sturm von Windstärke 11, aber wir kamen doch
glücklich an. Wir hatten nur ein paar kleine Beschädigungen an
Bord. Die Stadt war sehr schön, meist von Deutschen aufgebaut und um
1896 zirka 20.000 Einwohner stark. Es war dort immer eine große Begebenheit,
wenn ein deutsches Schiff einlief, und der Besuch von Deutschen nahm denn
auch kein Ende. Jeder wollte von der alten Heimat etwas hören und man
war jeden Tag bei einer anderen deutschstämmigen Familie eingeladen,
die einen auch sehr verwöhnte. Diese Zeit ging uns natürlich viel
zu schnell vorüber und der Abschied von unseren Landsleuten fiel uns
meistens schwer.
Unsere Ladung bestand nun aus Fleisch und die Reise ging nach Rio de
Janeiro. Über diese Stadt will ich nichts weiter berichten, man hat
schon so viel darüber geschrieben, daß sich jeder eine Vorstellung
machen kann. Für uns gab es in Rio sowieso nur viel Arbeit und die Salzladung
machte uns so viel zu schaffen, daß der Zuckerhut uns auch nicht trösten
konnte.
Unser Schiff segelte anschließend nach Buenos Aires. Hier gab es wieder
Salz, denn wir sollten Felle laden. Es ging dann etwa 70 Seemeilen den Rio
Plata flußaufwärts nach Freibentos. Es war ein kleines Nest, wo
nur Liebig's Fleischextrakt hergestellt wurde. Wir luden dort Hörner
und Hornspitzen als Unterlagen für die Häute. Damit die Häute
nicht mit Holz und Eisen in Berührung kamen, wurden die Hörner
hochkant aufgestellt, dicht an dicht. Die Fleischextraktfabrik war ein Großbetrieb,
es wurden im Jahr 180.000 Büffel geschlachtet und verarbeitet.
Fleisch gab es in rauhen Mengen, und wir haben auch feste reingehauen.
Nachdem wir unsere Hörner endlich verladen hatten, hieß es weitersegeln,
und zwar einen Fluß herauf, Paraguay hieß er, ein Nebenfluß
des La Plata. Das Segeln macht auf Flüssen einige Schwierigkeiten,
denn wenn Flaute war, mußte man sofort ankern. Acht Tage brauchten
wir, um in Paysandu anzukommen. Dort wurden die Häute verladen, wieder
so ein Kapitel für sich. Es ist wohl das schlimmste an Arbeit, was einem
begegnen kann. Die Häute wurden im Raum verstaut und dann mit
Pökel übergossen. Unser Arbeitszeug war nach einer solchen BeIadung
vollkommen unbrauchbar geworden und Hände und Füße von der
Salzlake aufgerissen.
Nach getaner Arbeit sprang man erst einmal über Bord, um das quälende
Brennen an Händen und Füßen loszuwerden, aber eine reine Freude
war das auch nicht, denn im Wasser konnte man Überraschungen erleben.
Ich machte eines Tages die unliebsame Bekanntschaft mit einer "Seeschlange".
Wir nannten die Dinger so, es sind wohl die Zitteraale gewesen, bei deren
Berührung man einen ziemlichen elektrischen Schlag bekommt. Ich spürte
die Berührung noch tagelang hinterher, mußte auch einige Tage
das Bett hüten, weil ich Fieber von der Berührung bekommen hatte.
In der Nähe von Paysandu war eine deutsch-schweizerische Ansiedlung,
wo ungefähr 200 Menschen lebten, die Ziegenzucht betrieben. Es gab dort
wohl einige Tausende von Ziegen. Fruchtbares Weideland verschaffte ihnen
so einigen Wohlstand. Wir wurden oft von den Siedlern eingeladen. Sie holten
uns am Schiff mit ungesattelten Pferden ab. Es hieß draufsteigen und
los ging es im Galopp. So habe ich dann auch reiten gelernt. Ziegenmilch konnten
wir trinken, soviel wir wollten In Schläuchen gaben sie uns noch Milch
mit an Bord. Drei Wochen lagen wir da und es war eine schöne Zeit, bis
es eines Tages plötzlich so unsichtig wurde, es sah aus, als wälzten
sich dicke Wolkenberge heran. Uns war ganz komisch zumute und wir konnten
es uns nicht erklären, bis dann in der sich verdunkelnden Sonne klar
wurde, daß ein Heuschreckenschwarm von erschreckendem Ausmaß
über unser Schiff hinweg auf die Siedlung zukam. Jedes Insekt war etwa
5 Zentimeter lang. Es regnete förmlich in Strömen Heuschrecken.
Alles, aber auch alles, was gewachsen war, wurde in ganz kurzer Frist von
den Tieren aufgefressen, kein Halm blieb stehen. Die ganze Siedlung
war damit vernichtet, denn es gab kein Futter mehr für die vielen Ziegen.
Bei uns an Deck lagen die Insekten 10 Zentimeter hoch. Die Siedler hatten
im Nu alles verloren, was sie sich in jahrelanger Arbeit aufgebaut hatten.
Sie mußten alles verlassen und weiterziehen. Uns fiel der Abschied
von den lieben Menschen sehr schwer, aber helfen konnten wir ja auch nicht.
20 Ziegen brachten die Siedler uns noch an Bord, damit wir auf der Reise
Frischfleisch hatten. Wenn wir dann irgendwo flußabwärts eine
fruchtbare Gegend passierten, kletterten wir an Land, um uns Futter für
unsere Milchspender zu besorgen.
In Buenos Aires besorgte unser Kapitän erst
einmal Frischproviant, denn nun sollte die Heimreise angetreten werden mit
dem ersten Anlaufhafen Antwerpen. Am 12. Oktober segelten wir über
den Ozean der Heimat zu. Über zwei Jahre war ich nun schon unterwegs
und aus dem kleinen Schiffsjungen war inzwischen ein kräftiger Kerl
geworden. Die Reise lief auch gut an, mit der Verpflegung waren wir die drei
ersten Wochen auch zufrieden, denn der frische Proviant schmeckte natürlich
gut. Leider hielt er nicht länger vor, denn Kühlschränke gab
es ja noch nicht und nach drei Wochen mußten wir dann doch wieder nach
altem Rezept den eisernen Bestand verbrauchen. Dann sah unser Menü so
aus:
Die Freude, alle meine Angehörigen nach so langer Zeit wieder zu sehen,
war dann aber auch groß, denn ich war immerhin 30 Monate nicht mehr
zu Hause gewesen. Die erste Nacht konnte ich nicht einschlafen und ich sagte
meiner Mutter, sie müsse erst einmal ein paar Eimer Wasser gegen das
Fenster schütten, damit ich das Gefühl hätte, noch auf dem
Schiff zu sein.
Die ganze Familie freute sich, daß ich zum Weihnachtsfest zu Hause
sein konnte und ich fand es auch schön. In Cranz war großer Silvesterball,
den ich natürlich nicht versäumen durfte. All die kleinen Mädels,
die ich noch von der Schulbank her kannte, freuten sich, daß sie mit
dem weitgereisten Hannes tanzen konnten. Sie wunderten sich, daß
ich tanzen konnte und wollten unbedingt wissen, wo ich es gelernt habe.
So verging die Zeit bei Muttern ganz zufriedenstellend, aber es zog mich
wieder in die weite Welt. Ich suchte mir ein Schiff, wo ich als Matrose anmustern
konnte, schon wegen der Heuer, da gab es nämlich den enormen Verdienst
von 45 Mark monatlich. Aber ich hatte kein Glück, denn es brach ein
Streik aus und so mußte ich notgedrungen noch zu Hause bleiben,
denn als Streikbrecher wollte ich auch nicht gerne fahren.
Es war damals ein ganz besonders strenger Winter. Este und Elbe waren zugefroren,
und man konnte ganz bis nach Blankenese rüberlaufen. Um sich die Zeit
zu vertreiben, legten wir wieder wie früher Quabbenangeln aus, denn
ganz ohne Beschäftigung konnte man doch nicht sein. Als aber Ende Februar
der Streik zu Ende war, ging ich sofort zu unserem Heuerbaas und musterte
am 1. März 1897 auf der "THEKLA", dem größten Segelschiff,
das wir in Deutschland hatten an. Die Reise ging zur Westküste Südamerikas,
um Kap Horn herum.
Die Thekla war ein Vollschiff, d.h. ein Schiff mit drei vollgetakelten
Masten, die 60 Meter hoch waren. Sie konnte 4000 Tonnen laden und hatte
42 Mann Besatzung. Am 4. März ging die Reise los, zwei Schlepper zogen
die Thekla elbabwärts. Wir machten gute Fahrt durch die Nordsee
und passierten am 6. März Dover. Bei der Insel Wright drehte der
Wind, wir mußten drei Tage auf der Stelle kreuzen und kamen nicht weiter.
In Cardiff wurden wir am 16. März von zwei Schleppern an unsern
Liegeplatz gebracht. Wie immer folgte die übliche Zollrevision,
aber es wurde selbst nach vierstündigem Suchen nichts gefunden und das
Schiff wurde freigegeben.
12 Tage dauerte es, bis wir unsere Ladung gepreßter Kohle an Bord hatten,
dann reisten wir weiter durch den Bristolkanal in den Atlantik. Bei
gutem Wetter machten wir eine prima Fahrt, zeitweise 17 Knoten, also mehr,
als unsere größten Passagierdampfer leisten konnten. Zur
Ruhe kamen wir nicht viel, und unsere Arbeitszeit dauerte 14-16 Stunden am
Tag. Heute würden sich die Leute schönstens bedanken, wenn man
ihnen solche Arbeitszeiten zumuten würde, dabei wurden Überstunden
nicht etwa besonders vergütet. Als wir in der Nähe des Äquators
waren, bemerkte der Kapitän, daß das Schiff ziemlich steif war,
d.h. wir hatten zu viel Ladung im Unterraum. 200 Tonnen Kohlen mußten
wir nun aus dem Unterraum ins Zwischendeck bringen, um so Abhilfe zu schaffen.
Die Arbeit nahm sechs Tage in Anspruch und bei der Äquatorhitze war es
eine verteufelt anstrengende Arbeit. Durch den Teergehalt in der Preßkohle,
brannte uns die Haut bald am ganzen Körper und es gab dabei viele wunde
Stellen.
Am 1. Juli 1897 begannen furchtbare Stürme, sie machten uns viel zu
schaffen und Schlaf bekam man kaum noch, denn wenn auch Wachablösung
war, die Freiwache mußte immer zupacken, wenn die Segel festgemacht
werden mußten. Kap Horn ist eben Kap Horn. Wenn man bei so stürmischen
Wetter aus seiner Koje kam und an Deck ging, kam es nicht selten vor, daß
man gerade in einen Brecher lief und buchstäblich schwimmen mußte,
obgleich man noch nicht über Bord gegangen war. Die Seen waren
oft unvorstellbar hoch. Wir haben, um ungefähr 2400 Seemeilen zurückzulegen,
vom l. Juni bis 15. Juli gebraucht, das sind 45 Tage. Um Kap Horn herum
zu fahren, war damals eine gefährliche Sache, der Seegang dort ist nicht
zu beschreiben, aber man singt ja heute noch manches Lied, das von Kap Horn
handelt.
Zu allem Unglück wurde auf dieser Reise auch noch der Koch krank. Er
konnte seinen Dienst nicht mehr versehen und ausgerechnet ich mußte
nun sein Amt übernehmen, dabei verstand ich genau nichts von der Kocherei.
Nach dem schon früher beschriebenen Wochenplan mußte ich nun mein
Heil versuchen, die täglichen Mahlzeiten durften ja nicht ausfallen.
Also erst mal Erbsensuppe mit Salzspeck das war schon ein Kapitel für
sich, denn so lange ich die Erbsen auch auf dem Feuer hatte, sie wurden einfach
nicht weich. Irgendwo mußte ich aber mal aufgeschnappt haben,
daß man mit Natron die Hülsenfrüchte weich bekommt, aber
wo sollte ich an Bord Natron herholen?- Ich dachte schon mit Schrecken an
all die Lästermäuler, wenn die harten Erbsen aufgetischt würden
und überlegte hin und her, wie ich mich da aus der Schlinge befreien
könnte. Schließlich dachte ich bei mir, daß Soda doch eigentlich
auch gehen müßte. Ich organisierte mir gleich ein ganzes Pfund,
und das wanderte dann in meinen Kochtopf. Nach ganz kurzer Zeit wurden
die Erbsen auch butterweich, und die Mahlzeit schmeckte vorzüglich und
wurde auch restlos vertilgt. Aber am Abend dann, oha - oha ----- Die Lauferei
nahm kein Ende, ich habe mich vorsichtshalber gar nicht sehen lassen, denn
die ganze Wut galt mir, dem Vizekoch, aber ich konnte doch diese durchschlagende
Wirkung nun wirklich nicht voraussehen. Jedenfalls konnte sich niemand
über schlechte Verdauung beklagen.
Im Laufe der Zeit lernte ich dieses Küchenhandwerk einigermaßen,
war aber heilfroh, als nach einigen Wochen der Koch sein Amt wieder übernehmen
konnte. Ich war glücklich, endlich wieder Seemann sein zu können,
und die Besatzung war ebenso froh, nicht mehr die Opfer meiner Kochkunst sein
zu müssen.
Am 1. Juli hatten wir die Sturmgrenze überschritten und nach langer Zeit
mal wieder Gelegenheit, uns etwas zu pflegen, d.h. uns mal gründlich
zu waschen. Inzwischen hatte unser Körper schon eine richtige Salzschicht
bekommen, denn wenn es nicht gerade einmal regnete, war keine Möglichkeit
vorhanden, sich mit frischem Wasser zu waschen, und das Seewasser ist auf
lange Sicht scheußlich. Das Trink- und Kochwasser durfte nicht
genommen werden
Im August 1897 kamen wir in Iquique an, einer kleinen Stadt mit zirka 10000
Einwohnern, ein furchtbar eintöniges Nest, wo kein Baum und kein Strauch
wuchs. Trinkwasser mußte ganz aus Valparaiso geholt werden, denn
in Iquique regnete es das ganze Jahr nicht. Wasser war daher eine Kostbarkeit,
und man mußte sehr sparsam damit umgehen. Im Hintergrund von
Iquique war viel Gebirge und dort wurde Salpeter gewonnen. So luden auch
alle Segler, die diesen Hafen anliefen Salpeter. Unsere Kohlenladung
wurde von der eigenen Besatzung in Prähmen verladen, eine schwere Arbeit,
denn fast immer waren 40 Grad Hitze. Abends war man dann pechschwarz
vom Kohlenstaub. Zum Waschen bekamen wir dann nur drei Eimer Wasser
für 36 Mann. Wer zuerst kam, hatte natürlich Glück,
bei dem letzten lief das Wasser kaum noch durch die Finger, so dick war es
von dem Dreck geworden.
Manchmal hatte man auch Glück an Bord. So wurde ich mal vom Kapitän
ausgesucht, als sein Gigmann zu fahren. Die Gig war das Boot, mit dem
der Kapitän immer an Land fuhr, wenn wir auf Reede lagen. Wenn
man so ein Pöstchen erwischt hatte, brauchte man nur auf das Boot aufpassen,
es natürlich sauber halten, und immer bereit sein. Jeder Kapitän
wollte selbstverständlich den anderen ausstechen und mit seinem Boot
angeben. Ich mußte immer fein in Schale sein. Die Sachen lieferte
der Käptn, blaue Hose, weißes Hemd und weiße Mütze.
Der Kapitän hatte auch eine Schappkiste an Bord, das war eine Kiste,
deren Inhalt aus lauter Dingen bestand, die die Seeleute gebrauchen konnten
und die der Kapitän ihnen verkaufte. Sicher hat er daran manche
Mark extra verdient. Man konnte so allerlei einkaufen, nur Alkohol
durfte er nicht ausgeben, das war zu gefährlich. Aber den besorgten
wir uns heimlich an Land. Offiziell war es natürlich streng verboten,
aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, da kannten wir uns aus. Wir besorgten
uns beim Schiffshändler einen Schlauch, den ließen wir mit Alkohol
füllen, banden ihn uns um den Bauch und warteten bis der Kapitän
außer Sicht war, dann ließen wir den Schlauch an einer Leine
über Bord gehen und holten uns den Segen, wenn die Luft wieder rein
war, aufs Schiff zurück.
Als wir am 1. August seeklar waren, wurde uns von den Amerikanern, Engländern,
Norwegern, Schweden, Dänen, Italienern und Franzosen, die damals die
besten Segelschiffe hatten, drei shares gegeben, d.h. drei Hurras für
die "Thekla". Die ganzen Mannschaften mußten dann antreten und
mit Hallo wurde eine gute Reise gewünscht. Das war immer recht
feierlich, heute macht man das nicht mehr. Morgens bei Tagesanbruch wurden
die Trossen gelöst und die Anker gelichtet. Mit Schlepperhilfe
ging es dann aus dem Hafen. Nochmals drei Shares von jedem Schiff, das wir
passierten und dann waren wir auch bald im freien Wasser. Alle Segel wurden
gesetzt und bei schönem Wetter und frischer Brise segelten wir südwärts
Kurs Kap Horn.
Im September passierten wir wieder Kap Horn, das Wetter war stürmisch,
bei Orkan aus Südwest, doch der Wind kam von achtern, da machten wir
trotzdem noch gute Fahrt. Die Seen brachen mittschiffs über Deck,
das Deck wurde überhaupt nicht mehr trocken. Heilfroh waren wir
alle, als wir dann Kap Horn hinter uns hatten, es ist doch eine verteufelte
Ecke. Ende September wurde das Wetter dann viel ruhiger und es wurde
auch bedeutend wärmer. Sogar der ersehnte Regen kam, wir konnten
die Regensegel aufspannen und so das kostbare Naß auffangen.
Wir sehnten uns auch danach, uns mal mit Regenwasser waschen zu können.
Im Oktober war dann wieder der Äquator fällig, aber wir hatten keine
Brise und kamen nur langsam vorwärts. Die Hitze machte uns auch
wieder Kummer und weit und breit keine Regenwolke zu sehen. Endlich nach
zehn Tagen bekamen wir wieder Wind und so konnte die Fahrt weitergehen.
Langsam mußte man nun daran denken, das Schiff sauber zu machen, denn
die Heimat muß man im besten Kleid begrüßen. Das ganze
Deck mußte mit Sand und Steinen geschrubbt werden und man lag dabei
den ganzen Tag auf den Knien. Es mußte aber auch alles blitzen
und blinken, ehe aufgehört wurde, nirgends durfte ein Rostflecken zu
sehen sein, denn jeder Käptitän will ja möglichst das sauberste
Schiff haben, wenn er im Heimathafen ankommt.
Nach einer schönen Reise über den Atlantik kamen wir am 1.12. 1897
morgens in Falmouth an und bekamen dort Order, nach Nordenham zu fahren.
In Falmouth wurde aber erst mal frischer Proviant eingekauft, es war auch
die höchste Zeit, denn fast die ganze Besatzung hatte Skorbut bekommen.
Es fehlten eben die Vitamine.
Im englischen Kanal hatten wir westliche Winde und passierten bald Dover.
In der Nordsee hatte dann Neptun noch mal feste aufgeblasen und wir mußten
vor der Weser beidrehen, es herrschte eine bittere Kälte, alle Segel
waren steif gefroren und wir brauchten sechs Stunden, um die Obermarssegel
festzumachen. Es war eine schwere Arbeit, aber das kann nur der verstehen,
der es selbst einmal machen mußte.
Am nächsten Tag flaute es etwas ab, es kamen zwei große Schlepper
(Wotan und Goliath), die uns in Schlepp nahmen. Wir alle waren überglücklich,
endlich einmal wieder Heimatluft zu atmen und am 7. Dezember 1897 nachmittags
um 5 Uhr machten wir unser Schiff am Pier in Nordenham fest.
Endlich war Feierabend ------- Abends, wie sollte es wohl anders sein, wurde
sich landfein gemacht und dann nichts wie los ------------Die zwei Wachleute,
die an Bord bleiben mußten, taten uns wohl leid, aber wer hat, der
hat. Zu lange waren wir fern der Heimat, nun wollten wir erst mal wieder
etwas erleben. Die Wirte waren damals auch schon auf Draht, sie wußten,
daß die See-leute nach einer langen Reise nicht geizig waren. So hatte
auch der Wirt in Nordenham in weiser Voraussicht eine Musikkapelle bestellt
und alle Mädchen von Nordenham eingeladen. Sie kamen aus Nordenham
und Umgebung, und so wurde dann fleißig das Tanzbein geschwungen und
manches Glas getrunken.
Am 9. bekam ich meine Heuer ausbezahlt und fühlte mich als Krösus
denn für neun Monate bekam ich 405 Mark. Vormittags musterte ich dann
auf dem Seemannsamt ab, dann wurde die Seekiste gepackt und ab ging es zu
Muttern. Große Freude natürlich zu Hause.Der Hannes ist wieder
im Land. Ich war eben in Cranz und besonders bei den kleinen Mädchen
sehr beliebt. Der Silvesterball in Cranz wurde nicht ausgelassen, bis
morgens gefeiert, schnell eine Mütze voll Schlaf und Neujahr weitergemacht.
Geld hatte ich ja nun und früher war die Mark auch mehr wert als heute,
wenn auch nicht so viel verdient wurde.
Bis zum 15. Januar 1898 blieb ich zu Hause und musterte dann als Matrose
auf der "Gerda" an. Diese Reise sollte mich nach China führen, d.h. China,
Japan, Indien und zurück. Am 17. mußte ich an Bord sein.
Der Dampfer war 3000 Tonnen groß, für Fracht und Passagiere eingerichtet,
konnte 60 Passagiere erster Klasse mitnehmen, außerdem in den Zwischendecks
noch 300 Personen. Diese Klasse war hauptsächlich für Kulis gedacht,
die von Singapore nach Hongkong, Schanghai und zurück wollten.
Die Besatzung bestand aus 42 Mann, darunter 20 Chinesen, die als Heizer und
Trimmer verwendet wurden und noch ihre Zöpfe trugen. In Hamburg
wurden für die Reise Stückgüter geladen. Am 20. verließen
wir ungern den Heimathafen. Das Wetter war gut, aber die Elbe hatte viel
Eis. Im Kanal wehte frischer Ostwind und so kamen wir gut vorwärts.
Am 24. mittags kamen wir in Le Havre an, dort wurde der Rest der Ladung übernommen
und am 27. fuhren wir weiter.
Am 3. Februar passierten wir Gibraltar und weiter ging es durch das Mittelmeer
nach Port Said, wo wir am 12. ankamen, Hier wurden dann erst mal die Bunker
wieder aufgefüllt, denn wir mußten ja Brennstoff für die
weite Fahrt über den Indischen Ozean nach Indien haben. Die Fahrt
durch den Suezkanal dauerte ungefähr 16 Stunden und wenn andere Schiffe
entgegenkamen, mußte man erst noch - z.B. am Bittersee - warten,
bis die entgegenkommenden Schiffe das Fahrwasser passiert hatten . Im Roten
Meer gab es dann zur Abwechslung mal wieder einen Sturm von Windstärke
12. Der Sturm kam von der Sahara und unser Schiff war in kurzer Zeit von
dem Wüstensand bedeckt. Wir hatten dort so um 50 Grad Hitze und
dabei mußten wir noch die Kohlen laden und die Kohlen, die z.T. noch
an Deck untergebracht waren, in die Bunker schaufeln. Daß wir
dabei gefroren haben, kann man nicht behaupten. Am nächsten Tag
flaute der Sturm aber ab und am 24. passierten wir Aden. Mit voller
Fahrt ging es durch den indischen Ozean und am 4. März kamen wir an
Ceylon vorbei. Unseren ersten Hafen Penang liefen wir am 12. März an,
wo dann ein Teil unserer Ladung gelöscht wurde. Singapore erreichten
wir am 14. und auch dort wurde etwas Ladung zurückgelassen. Dann
wurden die Zwischendecks zur Übernahme von etwa 400 Kulis in Ordnung
gebracht. Viel Umstände wurden da aber nicht gemacht. Sie mußten
sich selber ein Lager suchen und auch um die Verpflegung mußten sie
sich selber kümmern. Sie aßen aber auch nur ihren Reis.
Die Fahrt nach Hongkong wurde am 18. März fortgesetzt. Abends wurden
die Luken zum Zwischendeck abgeschlossen, damit die Kulis keine Überfälle
auf die Besatzung machen konnten und wir wurden mit Gewehren ausgestattet.
Die Dampfschläuche wurden an Deck angebracht und wenn sich nun Zwischenfälle
ereignet hätten, waren wir auf alles vorbereitet. In der damaligen Zeit
kam es nämlich häufig vor, daß sich Seeräuber unter
die Kulis mischten, die dann im geeigneten Moment die Besatzung überfielen
und das Schiff kaperten. Wir hatten Angst genug, daß uns so etwas auch
einmal passieren könnte und standen deshalb klar zum Gefecht. Morgens
wurden die Luken wieder aufgemacht und erst mal nachgesehen, ob nicht während
der Nacht Kulis gestorben waren. Das kam häufig vor. Wir fanden
auch zwei Tote, aber von deren Sachen war nicht ein Stück mehr da, natürlich
wußte niemand, wo die Sachen geblieben waren. Am nächsten Morgen
gab es wieder Tote. Sie wurden dann in Segeltuch eingenäht und ins Meer
versenkt. Wir kamen dann aber - Gott sei Dank - ohne weitere Zwischenfälle
in Hongkong an, dort kümmerte sich die Polizei darum, daß die
Kulis von Bord kamen. Diese Kulis waren Arbeiter, die sich für
zwei Jahre nach Singapore verdungen hatten und nun in ihre Heimat zurück
fuhren. Die Zwischendecks nachher sauber zu machen, war einfach ekelhaft,
so viel Schmutz auf einmal gab es sonst nicht. Es ist einfach nicht
zu beschreiben.
Shanghai liefen wir am 1.April an, eine richtige Chinesenstadt, sehr schmutzig,
die Menschen zerlumpt gekleidet, für uns ein ungewohntes Bild.
Wir blieben nicht lange, denn am 3.April ging es weiter nach Kobe (Japan)
und dort kamen wir am 8.4. an und die Beladung unseres Schiffen konnte sofort
beginnen. Dieses Mal nahmen wir Reis über. Kobe ist eine
schöne saubere Stadt, ganz das Gegenteil von Shanghai, aber leider blieben
wir hier nur zwei Tage, zu wenig Zeit, um viel zu sehen, aber auch damals
hieß es schon "Zeit ist Geld".
Nach einer Tagesreise landeten wir in Hiogo, dort war es aber auch nett und
besonders die hübschen Geishas hatten es uns angetan. Wirklich
süß sind die. Aber wir mußten leider weiter, dieses Mal
nach Jokohama. Diese Stadt ist wohl die schönste Japans und wir
deutschen Seeleute waren dort auch sehr willkommen. Kaum hatte das Schiff
festgemacht, als auch schon die fliegenden Händler an Bord kamen. Sie
packten gleich ihre Ware aus und fingen einen schwunghaften Handel an.
Das ganze Deck sah wie ein Laden aus, man konnte rein alles bekommen: Teeservice,
Vasen, Figuren etc.. Wir wurden von unseren älteren Kollegen, die schon
öfter hier waren, erst mal aufgeklärt, wie so ein Kauf zu handhaben
sei und dann ging der Handel los. Am ersten Tag muß man noch
nicht kaufen, nur handeln. Erst kurz vor der Ausfahrt, wenn die Händler
Angst bekommen, nichts mehr los zu werden, kann man kaufen, denn dann zahlt
man höchstens noch den vierten Teil dessen, was sie am ersten Tag forderten.
Ich kaufte mir ein Teeservice, ganz dünnes Porzellan, es sollte erst
nach unseren Geld Hundert Mark kosten, aber ich bekam es für 9.50 Mark:
12 Tassen und Teller, Kannen, Milchkannen und verschiedene kleine Schalen.
Das Service ist heute noch da und z.Z. liebäugelt mein Sohn damit, aber
----------Außerdem erstand ich noch zwei große Vasen, die sollten
erst 80 Mark kosten, aber ich zahlte dann 5 Mark dafür. Eine der
Vasen existiert noch, die hat mein Sohn bekommen. Daß die Händler
schrecklich lamentierten und behaupteten, die Käufer ruinierten sie,
gehört zum Geschäft, sie verdienen sicher noch genug an der Ware.
Unser Schiff war inzwischen voll beladen, bis auf einen Raum, der für
Bunkerkohle frei bleiben mußte. Am 15.April morgens dampften wir
weiter nach Moji. Die Fahrt dauerte nur vier Stunden, dort nahmen wir die
Kohlen über, die wir für die Reederei nach Shanghai bringen mußten.
Wir lichteten am 17. April die Anker, um Kurs auf die Heimat zu nehmen. In
Singapore konnten wir noch einmal an Land gehen, und natürlich,
wie sollte es auch anders sein, wurde dort noch einmal groß eingekauft.
Der Kapitän hatte sich auf Schleierschwänze spezialisiert.
Da mußte auf Deck erst mal ein Aquarium gebaut werden und dann kamen
etwa 4000 Schleierschwänze und 500 Teleskopfische hinein. Die Fische
waren sehr wertvoll und in Hamburg ein begehrter Artikel, der einen großen
Nebenverdienst versprach. Jeder an Bord kauft nun irgendein Viehzeug:
Affen, Schlangen, kleine Wildtiere wie Leoparden etc. Das ganze Zwischendeck
sah aus wie ein Zoo. Wir hatten unterwegs unseren Spaß an all
den Tieren. Der Zimmermann fuhr diese Strecke schon seit zehn Jahren
und er gab uns die besten Ratschläge, besonders welche Tiere sich zum
Verkauf in Hamburg am besten eigneten. So mußte eine Schlange
wenigstens zehn Fuß lang sein, sonst hatte sie keinen Wert für
die Käufer und man konnte sie dann nicht los werden.
Die Hitze im Hafen war sehr groß und wir waren heilfroh, als wir endlich
in See stechen konnten. Am 16. Mai waren wir in Suez, es folgte
die übliche Fahrt durch den Kanal nach Port Said. Weitere Stationen
der Fahrt waren am 24. Mai Gibraltar, 2. Juni Ouessant und am 3. Juni
kamen wir in Le Havre an, wo wir die für Le Havre bestimmte Ladung löschten.
Hatten die Tierhändler erfahren, daß ein Schiff aus Singapore im
Hafen lag, waren sie nicht mehr zu halten, sie stürmten das Schiff und
wollten alles aufkaufen, was wir von dort mitgebracht hatten. Selbst
Hamburger Händler waren dem Schiff entgegengefahren, um nur die ersten
zu sein. Wir waren aber ja auch nicht von gestern, wir wußten
genau, daß Hagenbeck besser bezahlte und so hielten wir unsere Schätze
zurück. Vor dem Aquarium hatte der Kapitän sogar eine Wache
aufgestellt, denn die Händler wären in ihrer Wut fähig gewesen,
das Wasser zu vergiften, denn sie ärgerten sich sehr, daß sie
uns nicht übers Ohr hauen konnten. Wachmann für die Fische
war ich dieses Mal und bekam vom Kapitän 10 Mark dafür. Das war
damals ein Batzen Geld und ich freute mich sehr darüber.
Am 6. Juni fuhren wir durch den englischen Kanal und durch die Nordsee der
Heimat entgegen. Im Hamburger Hafen machten wir am 9. Juni die Leinen
fest, die Heimat hatte uns wieder. 4 Monate und 24 Tage hatte die Reise gedauert.
Ich hatte viel von der Welt gesehen, aber auch viel arbeiten müssen,
denn vor 60 Jahren wurde es uns nicht so leicht gemacht wie heute. Die seefahrende
Jugend glaubt es nur nicht und ist überzeugt, daß
sie heute mehr leisten muß. Unsere ersten Besucher an Bord waren natürlich
die Händler. Ich verkaufte meine Schlange für 80 Mark und
meinen Affen für 40 Mark. An den beiden Tieren hatte ich 110 Mark
verdient, das war vielleicht ein Geschäft.
Nun musterte ich wieder ab und mein nächster Weg führte mich wie
immer nach Cranz. Schönes Geld hatte ich verdient und das Goldgeld
sah auch viel wertvoller aus, man konnte so schön damit klimpern.
Ich hatte zwar an Heuer nur 264 Mark verdient, fühlte mich aber
reich. Mein Vater holte mich am Cranzer Dampfer ab und war ausnahmsweise
einmal sehr spendabel, er gab einen Grog aus. So etwas wurde früher
besonders hoch angerechnet. Ich war sehr stolz, mit meinem Vater zusammen
im Gasthaus zu sitzen und Grog zu trinken. Nach dieser Reise folgte
wieder ein unfreiwilliger Heimaturlaub, denn man streikte mal zur Abwechslung
wieder und zwar sechs Wochen lang, aber auch diese Zeit ging vorüber,
und ich musterte bei Laisz an.
"Pamelia" nannte sich das Schiff, 3000 Tonnen Ladefähigkeit
hatte es. Sie war als Bark getakelt, d.h. zwei volle Masten mit Raasegeln
und ein Mast mit Gaffelsegel. Am 21. Juli erfolgte die Anmusterung als
Vollmatrose mit 60 Mark Heuer im Monat. Unser Schiff hatte 24 Mann
Besatzung und fuhr nach Santos (Brasilien). Nun hieß es wieder
von Hamburg Abschied nehmen und am 26. Juli passierten wir Dover. Im
Kanal hatten wir Gegenwind und im Atlantik waren die ersten Tage stürmisch
und dauernd mußten die Segel los- und festgemacht werden. Unser
Kapitän war dazu noch ein sehr unfreundlicher, herrischer Mann und bei
der Besatzung denkbar unbeliebt. Das Essen ließ zu wünschen
übrig, also schmeckte die Arbeit auch nicht.
Fünf neue Täuflinge hatten wir am Äquator, die Taufe war für
die, die diese Prozedur schon kannten, immer wieder eine Gaudi.
Am 10. September erreichten wir Santos und dort mußten wir acht Tage
bleiben, weil wir das Entladen nur mit eigenen Leuten schaffen mußten,
außerdem waren noch drei Mann ausgerückt, denen es an Bord nicht
mehr gefiel. Der Kapitän war darüber schrecklich aufgeregt,
setzte Himmel und Hölle und die Polizei in Bewegung, um die Ausreißer
wieder einzufangen. Nach fünf Tagen hatte die Polizei die Ausreißer
auch tatsächlich in Sao Paulo, einer deutschen Siedlung in der Nähe
von Santos aufgegriffen und an Bord gebracht. Das Donnerwetter war nicht
von schlechten Eltern, aber die Leute waren zu verstehen, denn an Bord war
es wirklich fast nicht auszuhalten.
Damals war Sao Paulo eine Siedlung von 3000 Einwohnern, heute ist
Sao Paulo eine Großstadt. Von deutschen Familien wurde ich oftmals eingeladen.
Sie holten mich dann mit Pferden ab, bis zur Siedlung mußte man dann
noch 30 Kilometer reiten. Das Essen bei den Siedlern war nach dem ewigen
Schlangenfraß an Bord geradezu ein Festgeschenk und ich langte feste
zu. Die Ansiedler mochten mich wohl gerne leiden, sie versuchten wenigstens,
mich zu überreden, bei ihnen zu bleiben. Sie versprachen sogar, mich
zu verstecken. In den schönsten Farben malten sie mir die Zukunft
aus, aber ich konnte mich doch nicht entschließen, meine geliebten
Schiffsplanken zu verlassen. Auf der "Pamelia" brauchte ich ja auf Dauer
nicht zu bleiben. Die Siedler bedauerten meinen Entschluß sehr,
mir fiel der Abschied von ihnen gar nicht leicht, aber ich war nun einmal
Seemann. Wer weiß, vielleicht hätte ich wirklich dort einmal mein
Glück machen können, denn die Stadt hatte in den darauffolgenden
Jahren einen enormen Aufstieg.
Mit Sandballast und einer Ladung Mate setzten wir unsere Reise fort und waren
am 28. September in Valparaiso. Die See war gut und so kamen wir schnell
bis Kap Horn. Da es Frühling war, hatten wir meistens gutes Wetter
und konnten innerhalb der Falklandinseln gehen und dadurch einen ziemlichen
Weg abschneiden. Kap Horn passierten wir am 13. Oktober bei ganz klarem
Wetter, es war das einzige Mal, wo ich Kap Horn richtig gesehen habe. Man
bleibt sonst immer in ziemlich respektvollem Abstand von dieser berüchtigten
Ecke. Der Kap-Hornfahrer sagt immer, wenn er gut ums Kap Horn kommt,
hat er Glück gehabt oder der liebe Gott hat geholfen. Der Wind
war südlich und so segelten wir mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit
von zehn Kilometern nach Valparaiso, wo wir am 24. Oktober eintrafen.
Iquique, das 830 Seemeilen weiter war, mußten wir auch noch anlaufen.
Unser Schiff wurde dort zwischen all den großen Schiffen im Hafen vertaut,
vorne beide Anker ausgeworfen und hinten an einer Boje festgemacht. 18 Schiffe
aller Nationen waren im Hafen, um Salpeter zu laden, denn etwas anderes gab
es dort nicht. Bis zum 10. Dezember dauerte es, bis wir unser
Schiff beladen hatten, denn es waren zu viele Schiffe da, da hieß es
Schlange stehen.
Das Auslaufen aus dem Hafen von Iquique beschrieb ich schon einmal und so
auch dieses Mal, wurden wir mit drei Hurras auf die Reise geschickt, eine
Reise, die für uns immer die schönste war, denn es ging Kurs Heimat
und in diesem Fall sogar direkt nach Hamburg. Genau am hl. Abend passierten
wir Kap Horn, der Wettergott bescherte uns einigermaßen gutes Wetter
(es war dort gerade Sommerzeit) und so konnten wir das Christfest mit Kaffee
und Kuchen, den wir Panzerplatten nannten, feiern. Zum Abschluß
spendierte der Kapitän wahrhaftig noch einen Grog. Er hatte auch
wohl so etwas wie Weihnachtsstimmung, sonst hätte das bestimmt nicht
passieren können. Sogar das Essen war in diesen Tagen bedeutend
besser als gewöhnlich, es gab für jeden Mann ein halbes Pfund Schinken,
Kekse aus Dosen und Butterkuchen. Den aber verstand der Koch nicht
zu backen, es wurden immer wieder Panzerplatten. Silvester um 12 Uhr
gab es Punsch und wieder brach ein neues Jahr an, eines von den vielen meiner
langen Fahrenszeit.
So langsam mußten wir daran denken, unser Schiff wieder auf Hochglanz
zu polieren. Da wurden die Farbtöpfe herausgeholt, denn auf der Elbe
mußte das Schiff wie eine Luxusjacht aussehen. Den Äquator hatten
wir schon hinter uns gelassen, am 24. März passierten wir Lizard, die
SW Ecke Englands. Zwei Tage vor Lizard kletterten wir schon auf den
höchsten Mast (60 Meter hoch), um auszugucken, ob schon Land in Sicht
sei. Wer zuerst Land sah, bekam ein paar Schnäpse. Auf einmal
schrie einer: "Land in Sicht". Endlich mal wieder Land zu sehen, das
war schon ein Erlebnis. Am 2. April 1899 waren wir glücklich wieder
in Hamburg, und Hannes musterte so schnell wie möglich ab, mit 450 Mark
Heuer in der Tasche. In Cranz wurde ich schon erwartet, aber ein Seemann
kann nicht lange rasten und lange an Land zu bleiben ist nicht Seemannsart.
Also musterte ich wieder auf einem anderen Schiff an. Es war die "Pera",
ein Fracht- und Passagierdampfer, der 80 Fahrgäste mitnehmen konnte und
Tourenfahrten nach der Levante machte. 60 Passagiere fuhren mit, als am 26.April
1899 die Reise los ging. Das Wetter war gut und die Gäste guter
Laune, in der Hauptsache deshalb, weil sie noch nicht seekrank waren. Der
Dampfer lief bei gutem Wetter 13-14 Kilometer, das war in der damaligen Zeit
eine sehr große Fahrt.
Am 28. April kamen wir in Le Havre an. Früh um sechs Uhr kam dann
die schwarze Gang an Bord. Schwarze Gang war ein anderer Name für den
Zoll, der ja bei Auslandsreisenden ein ungern gesehener Gast ist. Sie
fanden aber nichts, vielleicht waren aber auch die Verstecke zu gut, wer
kann das heute noch wissen. Das meiste unserer Ladung war für
Griechenland bestimmt und zwar für Patras, Korinth, Piräus, Athen
und Saloniki, der Rest der Ladung ging nach Smyrna und Konstantinopel, Rumänien,
Konstanza, Odessa und Batum. Das Schiff war wunderbar eingerichtet
und damals eines der besten Schiffe Deutschlands. Bei Kap Finistere
und Gibraltar wurden Flaggensignale gegeben, die Nachrichten wurden dann
an die Reederei weitergeleitet. Drahtlose Telegrafie gab es ja an Bord
noch nicht, heute ist das alles selbstverständlich.
Am 12. Mai waren wir dann in der Nähe von Algier, zwei Tage später
sahen wir Malta und da es gerade Tag wurde konnten wir die Insel gut sehen.
Die Passagiere waren natürlich alle an Deck, sie wollten für ihr
Geld auch etwas haben. Wir fuhren deshalb auch ganz dicht an Malta vorbei.
Durch den griechischen Archipel ging die Fahrt dann weiter und abends waren
wir in Patraa. Einen Tag hatten wir dort Aufenthalt, durch den Kanal
von Korinth dampften wir nach Korinth. Der Kanal ist an einigen Stellen
so eng, daß sich zwei Schiffe nicht passieren können. Daß
aus Korinth die Korinthen kommen, weiß inzwischen wohl jedes Kind und
so ist es auch nicht verwunderlich, daß wir dort Korinthen und Rosinen
als Ladung übernahmen. Die Gegend ist wunderschön und da
wir an einem Sonntag dort waren, hatten wir auch Gelegenheit, mal an Land
zu gehen und einen Ausflug in die Umgebung zu machen. Mit einem Eselsgespann
kamen wir wieder zurück, übrigens wurde die Ladung auch mit Eselgespannen
an Bord gebracht.
Die Fahrt ging am 21. Mai weiter, und zwar nach Piräus, der Hafenstadt
von Athen. Wir kamen abends an, blieben dort aber ein paar Tage länger,
weil wir dort unsere Hauptladung löschen mußten. Hier haben wir
in unserer Freizeit herrliche Ausflüge gemacht. Wir waren in Athen und
Umgebung, alles wurde besichtigt, die Altertümer bestaunt und wir waren
sehr beeindruckt von all den Sehenswürdigkeiten. Aber auch die
Bewohner dieses Landes sahen uns gern als ihre Gäste und wir wurden
häufig eingeladen. Die Bevölkerung war überhaupt sehr deutschfreundlich.
Unsere Ladung bestand hauptsächlich aus Südfrüchten und wir
versorgten uns auch damit. Viele Fahrgäste stiegen hier aus, sie
wollten länger in diesem schönen Land bleiben. Wir hatten immer
noch 31 Passagiere an Bord behalten.
Am 23.Mai machten wir uns auf den Weg nach Saloniki. Auch dort
holten wir Südfrüchte an Bord und am 27. Mai kamen wir nach Smyrna,
dem Teppichland. Hier war nun wieder Gelegenheit, kleine Nebengeschäfte
zu machen. Ich habe mir dort einen Teppich eingehandelt, wo der aber später
geblieben ist, weiß ich nicht mehr, sicher habe ich ihn versilbert.
Die Fahrt durch die Dardanellen war herrlich, wie es wohl immer besonders
schön ist, wenn man etwas zum ersten Mal sieht. Konstantinopel
ist eine einzig schöne Stadt und beeindruckte uns sehr. Die Bauten
machten auf uns einen großen Eindruck und wir hätten gerne einmal
gewußt, wie es hinter den Haremsmauern aussah.
Von der Reederei aus wurden verschiedene Feste auf unseren Schiff gefeiert.
Viele Damen und Herren, die in Konstantionopel ansässig waren, wurden
eingeladen und es ging dann an Bord hoch her. Wir erlebten das aber
nur als Zaungäste, denn noch waren wir ja nicht Kapitäne und bis
dahin war es noch ein weiter Weg. Wir hatten aber auch so unseren Spaß.
Durch den Bosporus setzten wir unsere Reise fort. Die Durchfahrt war sehenswert,
all die herrlichen Bauten, prunkvollen Paläste mit märchenhaften
Gärten. Wir schauten uns bald die Augen aus dem Kopf. Haremsdamen konnten
wir aber nirgends entdecken, die interessierten uns nun mal ganz besonders.
In Konstantinopel blieben wir nur vier Stunden, am 5. Juni verließen
wir Odessa und fuhren weiter nach Batum. In Konstantinopel hatten uns
alle Passagiere verlassen, wir waren nun wieder nur Frachtdampfer. Batum,
am schwarzen Meer, wird die russische Riviera genannt. Die Gegend ist aber
auch wunderschön und es gab viel zu sehen. Heute nach sechzig Jahren
sind mir alle meine Reisen noch so gegenwärtig, als hätte ich sie
erst gestern erlebt. In Hamburg kamen wir am 24. Juni an. Der
Hannes musterte gewohnheitsgemäß mal wieder ab, aber dieses Mal
für längere Zeit, denn jetzt mußte ich erst mal die Navigationsschule
besuchen, denn mein Ziel war ja, ein waschechter Kapitän zu werden.
Der häufige Schiffswechsel war aber früher üblich, das hatte
nichts mit Unbeständigkeit zu tun.
Steuermann auf großer Fahrt und Einjähriger.
So war ich denn Navigationsschüler geworden und machte am 1.4.1900 mein Examen als Steuermann auf großer Fahrt.
Als frischgebackener Steuermann musterte ich am 18.4. auf dem Dampfer "Wagrien" an mit einer Heuer von 85 Mark im Monat. Verschiedene kleine Fahrten machte ich mit diesem Schiff und zwar zwischen Hamburg und Manchester. Aber das Schiff gefiel mir ganz und gar nicht, es war ein dreckiger Pott, mit viel Ungeziefer und die Wanzen peinigten uns die ganze Nacht. Kakerlaken wimmelten überall herum, na von den Ratten ganz zu schweigen. Ich war froh, als ich am 15. Sept. wieder aussteigen konnte. 14 Tage blieb ich erst mal in Cranz und dann wurde ich als Einjähriger eingezogen.
Kiel war die Garnison. Die dreimonatige Kasernenhofausbildung war
damals sicher ebenso unbeliebt wie heute, aber sie gehörte nun mal dazu.
Auf dem Schulschiff "Oldenburg" machte ich meine Reserveoffiziersausbildung
durch. Bald wurde ich zum Obermatrosen befördert und nach weiteren drei
Monaten bekam ich Kommando. Scheibenkommando nannte es sich, dauerte
aber nur vier Wochen. Anschließend kam ich als Aspirant auf den
Kreuzer "Aegir", wo ich bis zum 1. Oktober 1901 blieb. Nun bekam ich
dummerweise einen argen Gelenkrheumatismus, konnte fast kein Glied mehr bewegen
und wurde im Lazarett buchstäblich in Watte gepackt. Eine schmerzhafte
Angelegenheit war diese Krankheit, aber nach sechs Wochen wurde ich für
einen Monat auf Erholungsurlaub geschickt. Durch diese Krankheit hatte
ich nun aber das Pech, mit meiner Reserveoffizierskursus nicht fertig zu
werden, denn am ersten Oktober war meine Dienstzeit zu Ende und ich konnte
wieder Seemann werden. Reserveoffizier wurde ich dann im ersten Weltkrieg,
aber davon später.
In der Einjährigenzeit brauchten wir nicht immer in der Kaserne wohnen
und ich hatte mir mit noch zwei Kameraden ein Zimmer in der Stadt gemietet,
so eine richtige Junggesellenbude. Eingerichtet war die Bude nicht besonders,
aber besser als in der Kaserne. Unser Geld reichte natürlich nie, wie
sollte es auch anders sein. Mein Freund kam aber auf die grandiose Idee,
sich eine Freundin anzuschaffen, so eine richtige Bratkartoffelliebe, die
möglichst Mamsell war und an die Fleischtöpfe heran konnte. Er
hatte auch Glück, sie war Mamsell im Bahnhofsrestaurant. Für ihn
mit ihren 40 Lenzen schon etwas ältlich, aber sie verliebte sich in
ihn. Dick war sie auch und schön konnte man auch nicht dazu sagen,
aber darum ging es uns ja gar nicht, wir hatten ganz andere Gedanken dabei.
Als er uns das neue "Glück" vorstellte, mußten wir aber doch lachen.
Wir sagten auch später zu ihm, das wäre "Liebe zum abgewöhnen".
Am Tage konnte er sich mit der "Schönen" sowieso nicht sehen lassen
und so lud er sie am Abend gegenüber vom Bahnhof in ein Gartenlokal
ein. Es versteht sich von selbst, daß sie nicht mit leeren Händen
kommen durfte, wenn er "treu" bleiben sollte. Unsere Lebensmittelversorgung
war wenigstens für lange Zeit sichergestellt. Ob es von uns nun
gerade ein feiner Zug war, bleibt dahingestellt, aber wir waren jung und
für jeden Streich zu haben. Kathrine war jedenfalls restlos glücklich
und unser böses Spiel hat sie nie durchschaut. Wenn sie heute noch lebt,
denkt sie vielleicht noch ab und zu an den feschen Einjährigen, den
sie damals in Kiel so verwöhnen konnte. Zweimal in der Woche füllten
wir so unseren Proviant auf und wenn alles aufgefuttert war, hieß es:"
Heim, es wird Zeit. Du mußt wieder mit Kathrine ausgehen." Sie war
eine dankbare Liebe, die gute Katrine.
Als Obermaat der Reserve wurde ich entlassen und landete wieder in
Cranz, wo ich mir drei Wochen lang das Zivilleben schmecken ließ.
Auf dem Dampfer "Föhr" musterte ich als 2. Steuermann mit 90 Mark Heuer
an. Die Fahrten gingen zwischen Hamburg und Schweden (Stockholm, Gefle,
Hudiksvall, Sundsvall, Hernösand, Pitea, Skeleftea usw.). Drei Wochen
dauerte jeweils eine Tour. Zehn Reisen machte ich auf dem Schiff, aber der
Kapitän war ein schrecklich nervöser Kerl. Ich hielt es also nicht
länger aus, wollte nun endlich auch bei einer Reederei, die mir gefiel,
festen Fuß fassen. So kam ich dann am 22. Mai 1902
auf den Dampfer "Hernösand" der Reederei H.M. Gehrkens und hier blieb
ich, bis ich mich zur Ruhe setzte, aber das kam erst viele viele Jahre später.
H.M. Gehrkens war eine alte Reederei mit 12 Schiffen, die hauptsächlich
Tourenfahrten nach Finnland und Schweden machten. Die Haupthäfen
waren Helsingfors, Abo, Hangö, Kotka und Wiburg. Bis zum
6. Februar 1903 blieb ich auf Hernösand und wurde noch am selben Tag
auf die "Pitea" versetzt. Kapitän Brauer war unser ältester
Kapitän und der beste der Flotte. Leider blieb ich aber nur 23
Tage bei ihm an Bord, denn ich wurde erster Offizier und kam auf ein anderes
Schiff. Einige Reisen machte ich dann noch auf "D.Stockholm", einige
auf "Pitea" und musterte dann ab, um die Navigationsschule zu besuchen.
Der Unterricht dauerte gewöhnlich ein halbes Jahr, aber ich hatte schon
vorgearbeitet und kam am 20. Juni in den ersten Kursus hinein.
Am 30. gab es 14 Tage Sommerferien. Nun hatte ich auf der Schule einen
alten Freund von der "Thekla" wiedergetroffen, der den ersten Kursus vollständig
mitgemacht hatte. Er bot mir an, mit mir alles durchzupauken, was ich durch
mein verspätetes Einspringen in den Kursus versäumt hatte. Paul
Haenike hieß er, hatte keine Eltern mehr und wußte nicht, wo
er seine Ferien verbringen sollte. Ich nahm ihn mit nach Cranz, er konnte
dort bei meinen Eltern wohnen und so war uns beiden geholfen.
Wir verlebten eine herrliche Zeit in Cranz, es war gerade Kirschenzeit.
Unsere Tageseinteilung hatten wir uns genau aufgestellt. Um sechs standen
wir auf, frühstückten ausgiebig und büffelten bis 11 Uhr. Nach
dem Mittagessen arbeiteten wir noch einmal zwei Stunden. Sonntags wurde
gefeiert. Irgendwo am Elbdeich wurde erst mal ein Badeplatz gesucht und gebadet,
halb sehnsüchtig den ausfahrenden Seeschiffen nachgeschaut und abends
ging es dann auf den Tanzboden. Irgendwo war immer so ein Vergnügen.
Die Zeit ging viel zu schnell vorbei, aber ich hatte in diesen 11 Tagen alles
aufgeholt, wozu die anderen Schüler zwei Monate brauchten. Ich war meinem
Freund sehr dankbar. Am 1. Juli war die Prüfung, d.h. ich wurde
geprüft, ob ich den Kursus mitmachen könne. Es klappte alles
und so konnte ich in den zweiten Kurses einsteigen. Während meiner
Schulzeit wohnte ich in Cranz und fuhr jeden Morgen nach Hamburg. Im
September fingen die Prüfungen an mit einer schriftlichen Prüfung.
Wir hatten drei mal acht Stunden Zeit dazu, aber ich war mit acht Stunden
13 Minuten fertig und hatte fehlerfrei gearbeitet. Auch die mündliche
Prüfung klappte wie an Schnürchen und ich bestand mit "Sehr gut".
Die Reederei H.M.Gehrkens forderte mich wieder an und schickte mich nach
Lübeck, wo ein neues Schiff im Bau war. Diesen Bau mußte ich beaufsichtigen.
Das dauerte drei Wochen und von Travemünde aus wurde die Probefahrt
gemacht. Auf diesem neuen Schiff wurde ich erster Offizier und bekam nun
115 Mark Heuer. Die erste Fahrt mit der "Haparanda" machten wir nach
Sundsvall (Schweden) und holten dort eine Holzladung für Bremen. Die
Maschine hatte 1100 PS. Dieses Schiff war mit Eisenverstärkung
gebaut, hauptsächlich für die Finnlandfahrten so verstärkt
worden, daß wir auch im Winter dorthin fahren konnten.
Auf der Reise nach Sundsvall - es war in Oktober - war es schon ziemlich
kalt und unterwegs bekamen wir einen schweren Schneesturm. Bei starkem
Schneetreiben fuhren wir durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal. Am 4.11. um vier
Uhr ging es durch die Brunsbütteler-Schleuse. Zeitweise konnte
man nichts sehen, so unsichtig war es und plötzlich um acht Uhr morgens
gab es einen Ruck. Wir waren durch das unsichtige Wetter und Stromversetzung
bei Altenbruch, 5 Seemeilen vor Cuxhaven, auf Stack gelaufen. Es war
gerade Hochwasser und die Ebbe setzte ein. So blieb das Schiff dort sitzen.
Die Bergungsdampfer waren sofort zur Stelle, aber das nützte nicht viel,
wir mußten erst das neue Hochwasser abwarten. Bei Niedrigwasser war
das Schiff vorn ganz trocken und achtern war das Deck unter Wasser. So bestand
Gefahr, daß es durchbrach. Nun wurde erst mal Schiffsrat abgehalten
und beschlossen, einen Teil der Ladung über Bord zu werfen, um das Schiff
leichter zu machen. Hinten wurde ein großer Anker ausgebracht, um den
Winden zu helfen. Das Holz, das wir über Bord warfen, trieb bei Altenbruch
an den Strand. Die Bewohner hatten das gleich spitz bekommen und schleppten
das Holz über den Deich. Für sie war das Strandgut, sie glaubten
ein Recht zu haben, sich das Holz anzueignen. Für diese Strandpiraten
war das ein schönes, unverhofftes Geschäft. Beim nächsten
Hochwasser wurde das Schiff mit sechs Bergungsschleppern geschleppt, d. h.
erst versuchten sie den Dampfer frei zu bekommen. Viele Zuschauer hatten
sich inzwischen eingefunden und uns war das Glück hold, wir kamen frei
und konnten im tiefen Wasser erst mal ankern. Später dampften
wir dann mit eigener Kraft nach Hamburg. Ein Schlepper begleitete uns
auf dieser Fahrt. Nun mußte die Ladung gelöscht werden und
dann mußten wir ins Dock (Stülcken-Werft), denn die Haparanda
hatte einen ziemlich großen Bodenschaden bekommen. Neun Platten und
Spanten mußten eingesetzt werden. Die Reparatur nahm viel Zeit
in Anspruch und es wurde Dezember, bis wir wieder fahren konnten.
Trotzdem dampften wir erst am 4. Januar nach Bremen, um unsere Holzladung
dort zu löschen. Die ganze Mannschaft war natürlich froh,
daß sie Weihnachten und Neujahr bei ihren Familien sein konnte, denn
das kommt bei den Seefahrern höchst selten vor. Die Seeamtsverhandlung
mußte nun auch noch die Schuldfrage der Havarie klären, aber die
Verhandlung lief für uns gut aus. Man führte den Unfall auf die
schlechte Sicht und Stromversetzung zurück. Der Schaden mußte
also von der Versicherung getragen werden.
Am 12. Januar waren wir wieder im Hamburger Hafen und dort wurde unser braves
Schiff wieder für die Finnlandfahrt zurechtgemacht. Diese Reisen wiederholten
sich nun in steter Folge, es wechselte das Wetter, es wechselten die Jahreszeiten,
es gab ruhige und sehr stürmische Reisen, aber nennenswerte Zwischenfälle
gab es nicht.
Und doch passierte auf der "Haparanda" etwas, das aber mit dem Schiff nichts
zu tun hatte und wobei unser Kapitän beinahe uns Leben gekommen wäre,
aber das muß ich mal genau erzählen. Am 4. Juli 1905 kamen wir
in Valkum bei Lovisa in Finnland an, um dort Holz für Bremen zu holen.
In diesen Holzhäfen ist nicht viel los und jeder gestaltet sich seine
Freizeit nach eigenem Geschmack. Unser Kapitän Fock war z.B. ein
großer Jäger vor dem Herrn und ging deshalb auch bei jeder Gelegenheit
zur Jagd. Mit seinem kleinen Foxterrier, der ihn auf allen Reisen begleitete,
fuhr er eines Tages mit dem Arbeitsboot los, um Enten zu schießen.
Als unser Kapitän aber abends um sechs Uhr noch immer nicht an Bord
zurückgekehrt war, machten wir uns echte Sorgen und unruhig hielten
wir nach dem Boot Ausschau. Um sieben kam dann endlich das Boot angesegelt,
der Hund bellte, aber von unserem Kapitän war nichts zu sehen. Wir sahen
nur einen fremden Mann, der das Boot längseits brachte. Es war ein Finne,
der das Boot steuerte. Als das Boot dann neben unserem Schiff lag, sahen
wir unseren Kapitän leichenblass unten im Boot liegen und wir glaubten,
er sei tot. Was war da geschehen, so fragten wir uns. Nun, wir erfuhren
es dann später.
Kapitän Fock war also losgefahren, um Enten zu schiessen. Beim
Segeln lag sein Gewehr mit dem Lauf nach hinten auf der Bank, er selbst saß
am Ruder. Als er die ersten Enten sah, wollte er gleich einmal sein Heil
versuchen, nahm das Gewehr auf, aber der Hahn hakte irgendwo und ein Schuß
ging vorzeitig los und traf den Kapitän in den Oberschenkel. Er
muss dann gleich ohnmächtig geworden sein, jedenfalls wurde er später
bewußtlos aufgefunden. Der kleine Foxel, der mit großer
Liebe an seinem Herrchen hing, fing fürchterlich an zu winseln und bellte
dann so laut er konnte. Schließlich wurde der Finne, der in seinem
Segelboot unterwegs war, durch das Bellen aufmerksam und segelte in die Nähe
des Bootes. Die Segel flatterten im Wind und je näher der Mann an das
Boot kam, desto unruhiger gebärdete sich der Hund. Als der Finne
dann sah, was passiert war, nahm er das Boot in Schlepp und brachte es zu
uns.
Der kleine Hafen verfügte weder über ein Motorboot, noch gab es
einen Arzt dort. So ließ ich in Lovisa anrufen und einen Krankenwagen
bestellen, der den Verunglückten gleich ins Krankenhaus bringen sollte.
Ich segelte dann auch gleich mit dem todkranken Kapitän nach Lovisa,
wo der Krankenwagen schon auf uns wartete. Ich wollte unseren Chef gleich
nach Helsingfors transportieren lassen, aber der Arzt ließ es nicht
zu, weil der Blutverlust zu groß war. Ich bat aber den Arzt, die
Überweisung nach Helsingfors sobald als möglich zu veranlassen.
Die Reederei wurde von dem Unfall unterrichtet und nun sollte ich als 21-jähriger
das Kommando über das Schiff übernehmen und es nach Bremen bringen.
Frau Fock reiste dann mit dem nächsten Schiff nach Finnland, um bei
ihrem kranken Mann sein zu können. Nach einiger Zeit konnte Kapitän
Fock nach Helsingfors gebracht werden. Er kam dort ins Stadtkrankenhaus, wo
ihn Professor Beselin behandelt hat. Trotz aller Mühe konnte aber auch
der Professor das Bein nicht retten, es mußte bis zum Knie abgenommen
worden. Das Fleisch des Oberschenkels war auch z.T. durch den Unfall
verletzt. Um die großen Wunden schließen zu können, ließ
sich Frau Fock aus ihrem Bein Hautstücke herausschneiden, die auf das
verletzte Bein ihren Mannes verpflanzt wurden. Nach sechs Wochen schlossen
sich dann auch die Wunden und nach weiteren sechs Wochen konnte man an eine
Überführung nach Hamburg denken. Es dauerte aber noch viele Monate,
bis Kapitän Fock eine Prothese bekommen konnte und die ersten Gehversuche
strengten ihn sehr an. Er hat dann aber später noch manches Jahr
als Kapitän auf der Brücke gestanden und als er sich zur Ruhe setzte,
bastelte er in seinen Mußestunden Schiffe, auch Modelle der Schiffe,
auf denen er bei seiner Reederei gefahren ist. Die finnischen Zeitungen waren
seinerzeit voll von den Berichten und der kleine Foxel als Lebensretter spielte
in den Berichten die größte Rolle.
Ich durfte dann noch zwei Reisen als Kapitän der "Haparanda" nach Finnland
fahren und war glücklich, daß mir diesen Vertrauen geschenkt wurde.
Bis September 1906 bin ich noch auf vielen anderen Schiffen meiner Reederei
gefahren, wie "Pitea", "Lulea", "Söderhamn", "Stockholm" und habe immer
Glück auf meinen Fahrten gehabt. Am 18. September wurde
ein neues Schiff in Lübeck gebaut und nach Fertigstellung in Dienst
gestellt. Es war wieder ein sogenanntes Eisschiff extra für Finnlandreisen
gebaut. Für einen Monat wurde ich nach Lübeck geschickt,
um den Bau zu beaufsichtigen. Die Probefahrt des Dampfers, den man
auf den Namen "Suomi" taufte - Suomi heißt auf deutsch Finnland - verlief
zur Zufriedenheit. So eine Probefahrt ist immer eine große Sache,
es wurden wie immer Reden geschwungen, Wein und Sekt getrunken und der Höhepunkt
war dann, wenn die Werftflagge heruntergeholt wurde und die Reedereiflagge
deren Platz einnahm.
Nach der feierlichen Indienststellung wurde das neue Schiff beladen und die
erste Reise nach Finnland angetreten. Ende September kamen wir in Helsingfors
an. Das Schiff wurde über die Toppen geflaggt und am nächsten Tag
war eine große Feier an Bord. Prominente Gäste fanden sich ein
wie z.B. der Handelsminister, Generalkonsul, etliche Generaldirektoren usw.
Die Zeitungen brachten große Berichte über das neuste Schiff der
H.M.Gehrkens und hoben besonders hervor, daß das Schiff den Namen "Suomi"
trug. Bis Mai 1910 fuhr ich als erster Offizier auf der "Suomi", dann wurde
ich zum Kapitän befördert und ich war sehr glücklich, endlich
mein lang erstrebtes Ziel erreicht zu haben. Meine Eltern waren recht stolz
auf ihren frischgebackenen Kapitän. Mit der "Suomi" machte ich
noch viele Fahrten, bis 1914 der erste Weltkrieg ausbrach.
Ich war gerade in Hamburg und mußte sofort mein Schiff verlassen,
um mich bei der Marine zu melden. In Wilhelmshaven wurde ich eingekleidet
und als Obermaat begann ich meinen Kriegsdienst. Vierzehn Tage später
wurde die Nordseevorposten-Flottille gegründet und zwar fünf Gruppen,
je Gruppe sechs Boote. Es waren umgebaute Fischdampfer, die vor der
deutschen Nordmeerküste bis nach Esberg (Dänemark) hin und her
kreuzen mußten und auf diese Weise den Küstenschutz übernahmen.
Ich wurde Kommandant des Vorpostenbootes "Breslau". Die Schiffe waren
mit drei 8,8 cm Geschützen ausgerüstet, zwei vorne und eins am
Heck. Die Besatzung bestand aus 34 Mann. Sechs Tage war man dann
auf See und vier Tage im Hafen. Man nannte den Dienst auf diesen Booten
auch Himmelfahrtskommando. Bin zum 10. Oktober 1915 blieb ich
auf der "Breslau", am 1. Oktober bekam ich das E.K.2. Dann meldete ich mich
zum Reserve-Offizierkursus und wurde auf S.M.S. "Schwaben", dem Ausbildungsschiff
für Offiziere, auf das Examen vorbereitet.
Der Kursus dauerte drei Monate. Die Artillerieausbildung fand ich nicht interessant
und die Navigationsausbildung hatte ich nicht mehr nötig, da hatte ich
auf der Seefahrtschule bedeutend mehr gelernt. Immerhin war ich ja schon
etliche Jahre Kapitän. So bestand ich mein Examen ohne Schwierigkeiten
und wurde Vizesteuermann der Reserve und Offiziersanwärter.
Die Reserve-Offiziers-Prüfung kam dann am 10. Januar 1916 auf
der S.M.S. "Regensburg". Es war einer von unseren großen Kreuzern mit
Kapitän z.S. Heinrich als Kommandant. Wir machten dann mit 12 großen
Zerstörern mehrere Fahrten nach England rüber und beschossen die
englische Küste. Kapitän Heinrich war ein Draufgänger, aber
doch ein besonnener Mann. Immerhin waren diese Fahrten ziemlich gewagt. Wenn
ich im Hafen an Bord meine Wache schob, kam Kapitän Heinrich oftmals
zu mir, klopfte mir auf die Schulter und sagte: "Na, Kapitän, nun müssen
wir aber bald mal wieder etwas unternehmen!" Er nannte mich grundsätzlich
nur Kapitän, weil ich im Zivilberuf ja Kapitän war.
Am 27. Januar lagen wir auf Schillig-Reede. Es war Kaisers Geburtstag,
also ein großer Tag, der auch gebührend gefeiert wurde. Man
legte damals Wert darauf, festzustellen, wie sich die zukünftigen Offiziere
verhalten, wenn sie eine ziemliche Menge Alkohol getrunken hatten. Also wurden
die Offiziersanwärter feste unter Alkohol gesetzt. Das Kommando
an Bord war prima: Kommodor Kapt.z.S. Heinrich, Kommandant Kapt.z.S. Bendemann,
Funkoffizier Graf Rantzau, 1.Off. Kapt.z.S. Grat v. d. Borne, Art. Off. Graf
Metlitz und Nav. Off. Freiherr v. Schweidnitz. Es gab also zunächst
ein wunderbares Festessen und die besten Getränke. Ich hatte meinen
Platz zwischen Graf v.d. Horne und Freiherrn v. Schweidnitz. Nun wurde
unauffällig, aber genau beobachtet, wie man sich beim Essen benahm,
ständig wurde einem zugeprostet, da mußte man, ob man wollte oder
nicht mithalten. Mich und zwei andere Kursusteilnehmer versuchte man so unter
den Tisch zu trinken. Zwei fielen auch nach einigen Stunden aus, sie konnten
einfach nicht mehr. Bei mir hatten sie aber kein Glück, denn ich
konnte mehr vertragen, als sie alle zusammen, und aus der Rolle fiel ich
auch nicht. Schließlich war ich nicht umsonst ein alter sturmerprobter
Seebär der Handelsmarine. Wir waren andere Feste gewöhnt und in
Helsingfors dauerten die Feste oft zwei Tage und Nächte, da war ich
auch etwas gewöhnt. Nun ist es aber keineswegs so, daß die
Seeleute, wie man es in Liedern so oft hört, ewig mit der Rumbuddel
herumlaufen, aber in ausländischen Häfen mußte die Schiffsleitung
sehr oft aus geschäftlichen Gründen Feste an Bord geben, um mit
den ausländischen Firmen in Kontakt zu bleiben. Das geschieht am besten,
wenn man in zwangloser Gesellschaft ein paar Stunden zusammensitzt. Aber
das nur nebenbei. Nun, die Kaisers-Geburtstagsfeier ging bis früh um
fünf Uhr durch, dann kam der 1. Off.v. Schweidnitz zu mir und sagte:
"Kapitän. Ihre Prüfung haben Sie schon bestanden!"
Die richtige Prüfung fand aber erst im April statt. Wir wurden dann
einzeln examiniert und bei mir ging das so vor sich ----- Der Navigationsoffizier
stellte die erste Frage: "Na. Käptn, was wollen wir trinken? -
Flasche Sekt?" -- Ich war natürlich nicht abgeneigt. Nach
einer Viertelstunde war die Prüfung beendet, Fragen wurden kaum gestellt.
Beim 1. Offizier. dieselbe Geschichte und zuletzt beim Arzt gab es auch wieder
Champagner. Diese sogenannte Prüfung dauerte bis elf Uhr. Um 12
Uhr war dann eine große Sitzung beim Kommandanten in der Messe. Die
Prüfer mußten dort die Ergebnisse bekanntgeben. Ich hatte mit
sehr gut bestanden und meine Kollegen flogen durch, d.h. die hatten sie aber
auch auf Herz und Nieren geprüft. Ich blieb noch zwei Monate als Wachoffizier
auf S.M.S. "Regensburg" und wurde zum Leutnant z.S. befördert.
Zufällig traf ich eines Tages auf der Straße meinen alten Kommandanten,
Kapt.z.S. Forstmann, Führer der Nordseevorpostenflottille. Er erkundigte
sich interessiert, wo ich z. Zt. stationiert sei, und als er hörte,
daß ich auf Kreuzer "Regensburg" war, meinte er, da gehöre ich
doch nicht hin. Er sagte mir, er will noch heute mit dem Admiral sprechen,
damit ich wieder in seine Flottille käme. Ich sollte dort als
Kommandant eine Vorpostengruppe bekommen. Eine Gruppe bestand
aus sechs Booten. Im Stillen dachte ich: "Na, wie das wohl abläuft!?"
Am nächsten Abend hatte ich Wache, da kam ein Funkspruch: " Der Leutnant
z.S. Hubert ist sofort zur Nordseevorpostenflottille zu überweisen."
---- Unterschrift, Admiral Scheer.
Als am nächsten Morgen der erste Offizier an Bord kam, machte ich gleich
Meldung und zeigte ihm den Funkspruch. Er war empört und sagte, das
käme nicht in Frage, daß man ihm hier so einfach seine besten
Leute weghole. Aber Befehl ist Befehl, und so mußten sie mich gehen
lassen. Der Kommandant bestellte mich zu sich, gab mir zum Abschied
die Hand und gratulierte mir zu dem selbständigen Posten, der einer
Beförderung gleichkam. Es wurde noch eine Flasche Sekt getrunken und
damit war dann mein Dienst auf der "Regensburg" beendet.
Bei Kapt.z.S. Forstmann meldete ich mich am nächsten Tag. Ich
kam als Gruppenführer der Aussengruppe, welche nördlich von Esberg
stationiert war, auf V.P.B. "Aklebaran". Mit meiner Gruppe, die sechs
Boote umfaßte, mußten wir Dienst zwischen Esberg und zehn Meilen
nördlich davon machen. Es galt aufzupassen, daß keine feindlichen
U-Boote in unsere Gewässer kamen. Wenn nun mal draußen keine
dicke Luft war, vertrieben wir uns die Zeit, indem wir fischten. Zu diesem
Zweck hatten wir uns Netze organisiert. Da viele Besatzungsmitglieder früher
bei der Fischerei tätig waren, hatten wir auch genügend Fachleute
an Bord. Einen großen eisernen Schrank hatten wir uns auf der
Werft besorgt, der wurde als Räucherkammer in Dienst gestellt. So hatten
wir außer Frischfisch auch immer die herrlichsten Räucherfische.
Auf unserer Station waren die besten Fischgründe und wir brachten fast
alle paar Tage 2-3000 Pfund Fische mit. Die Beute wurde in der ganzen Gruppe
verteilt und jedes Besatzungsmitglied durfte nach jeder Fahrt 30 Pfund Frischfisch
und 20 Pfund Räucherfisch nach Hause schicken. Was das im Krieg
heißt, wissen wir alle, denn die Kartenzuteilung reichten doch nie.
Handel durfte aber mit den Fischen nicht getrieben werden, das war strengstens
verboten. Wurde jemand dabei erwischt, daß er seinen Anteil verkaufte,
durfte er vier Wochen keine Fische nach Hause schicken. Die Gefahr,
daß Handel mit den Fischen getrieben wurde, war aber gering, denn die
Angehörigen warteten doch jede Woche sehnsüchtig auf das nahrhafte
Paket. Die großen Kriegsschiffe bekamen, wenn wir genügend hatten,
natürlich auch von dem Segen des Meeres etwas ab, aber sie mußten
bezahlen, und zwar für Edelfische, wie Steinbutt, Seezunge etc. bekamen
wir vierzig Pfennig das Pfund und für Kabeljau und Schollen 20 Pf.
Dieses Geld kam in eine besondere Kasse für die bedürftigen
Besatzungsmitglieder. Von dem Geld wurde das Porto bezahlt, das sie für
die Fischpakete brauchten. Blieb dann noch Geld übrig, veranstalteten
wir davon eine kleine Weihnachtsfeier oder was gerade zeitgemäß
war.
Einmal, es war im Oktober 1916, kamen wir gerade von Esberg zurück und
sahen vor Helgoland viele Kisten treiben. Die Mannschaft peilte schon
ganz aufgeregt die Lage, hoffentlich einen guten Fang zu tun. Jedenfalls
mußte untersucht werden, was in den Kisten verborgen war. Vorsicht
war trotzdem geboten, denn man konnte nicht wissen, ob es nicht getarnte
Minen waren. Immerhin wollten wir der Sache auf den Grund geben, wir
ließen ein Boot zu Wasser und ruderten näher an die Kisten ran.
Was konnten die wohl enthalten, das war die Frage der Stunde. In all
den Kisten, die da herumtrieben, war Butter in Paketen und Dosen. Nun
war kein Halten mehr. Alle Boote setzten ihre kleinen Fahrzeuge aus und eine
Kiste nach der anderen wurde in Sicherheit gebracht. 4000 Pfund Butter, und
das im Krieg!---Jeder bekam 20 Pfund, die an die Angehörigen geschickt
werden konnten. Die werden Augen machen. Weihnachten gab es dann den Rest
des Fanges.
Nun war es aber nicht so, als wenn unser ganzer Kriegsdienst nur darin bestand,
unsere eigenen Interessen zu wahren. Diese kleinen Episoden waren für
uns nur eine willkommene Unterbrechung der weiß Gott nicht leichten
Fahrten unserer Flottille. Alle zehn Tage wurde eine Fahrt gemacht,
die hauptsächlich den Zweck hatte, unsere U-Boote durch die minenfreien
Wege zu geleiten. Zwei U-Boote fuhren dann voraus, sie waren mit Minenschneidegeräten
ausgerüstet, in Kiellinie folgten dann die U-Boote. Einen Tages sahen
wir nachts um 12 Uhr (zur Geisterstunde) vier große Kreuzer und 12
Zerstörer ganz in unserer Nähe. Wir fuhren auf der Schattenseite,
so konnten sie uns noch nicht sehen, aber die U-Boote tauchten schnellstens
und wir verschwanden in Richtung der dänischen Küste, so das wir
innerhalb der Dreimeilengrenze waren. Der minenfreie Weg war passiert, so
konnten die U-Boote allein ihre Fahrt fortsetzen. Ich versuchte sofort,
mit unserer Signalstation Verbindung zu bekommen, aber da die Engländer
immer dazwischen funkten, dauerte es eine Weile, bis die Verbindung glückte.
Unter Code meldete ich, daß und wo ich die feindlichen Verbände
gesichtet hatte und bekam die Antwort "Laufen sofort aus." Eine Stunde später
kamen die Engländer zurück, Kurs Nord. Ich war froh, daß
die Luft wieder rein war, wagte aber doch nicht, den gleichen Weg zurück
zu nehmen, denn nun mußte man ja damit rechnen, daß die feindlichen
Brüder überall Minen ausgelegt hatten. Wir verkappten uns als holländische
Fischdampfer und hielten uns dicht unter der dänischen Küste.
Dort hatten wir schon früher ein kleines Fahrwasser ausgelotet und konnten
notfalls am Tage den Weg nehmen, aber nur mit fünf Meter Tiefgang.
Diesen Weg fuhren wir dann auch bei tagwerden und kamen gut wieder in unserem
Heimathafen an. Eine Minenräumflottille lief dann aus und unsere Vermutung,
daß die Feinde Minen ausgelegt hatten, bestätigte sich, denn bei
Hornriff fand man große Minenfelder. Es wäre wahrscheinlich ein
großes Unglück passiert, wenn wir die Schiffe nicht zufällig
gesichtet hätten, denn eine am anderen Tage auslaufende Torpedobootsflottille
wäre unweigerlich in das Minenfeld geraten. Im Flottillentagesbefehl
stand dann später "Der Flottenchef spricht der Besatzung des Vorpostenbootes
"Aldebaran", insbesondere dem Leutnant z.S. Johannes Hubert seine vollste
Anerkennung aus. Grossadmiral Scheer." Am hl. Abend bekam ich
außerdem das E.K.1
Am 2. Juli 1917 heiratete ich. Die Hochzeit wurde im engsten Kreise gefeiert, also eine richtige Kriegstrauung. Trotzdem kamen unendlich viele Glückwünsche. Daß ich den Geburtstag meines Sohnes am 28.3.18 erleben durfte, habe ich einem Zufall zu verdanken. Ich wurde an diesem Tag auf meiner Position von einem Kameraden abgelöst. Er hatte dann das Unglück, von Engländern torpediert zu werden, kam aber gottlob nur in Gefangenschaft. Er hatte insofern also trotz allem noch Glück gehabt, denn so mancher guter Freund und Kamerad mußte für immer draußen bleiben. So manches brave Schiff kam von der Fahrt nicht wieder zurück.
Viele Flugzeuge holten wir aus den minenverseuchten Gewässern und sehr oft waren diese Unternehmungen mit größter Gefahr verbunden. Gar manches Mal hatten wir schon mit dem Leben abgeschlossen und die Hand am Hebel, der unser Boot in die Luft sprengen sollte, ehe es in feindliche Hände fiel. Im Krieg muß man viel viel Glück haben und ich kann wohl sagen, ich hatte es. Das Ende des Krieges war für mich und viele aufrechte Kameraden deprimierend, denn die Revolution war wirklich ein unwürdiger Schluß. Ich mag heute noch nicht daran denken.
Schmerzlicher Abschied von der Kriegsmarine
Immerhin blieb ich bis Kriegsende auf meinem Schiff. Als aber eines morgens
die "Rote Fahne" gehißt wurde, hatte ich dort nichts mehr zu suchen,
denn diese Revolution war der Todesstoß für unsere ruhmreiche
Marine. Meine Besatzung beschwor mich, doch an Bord zurück zu kommen,
aber dazu konnte ich mich nicht entschließen, Als sie merkten, daß
ich nicht zurückkommen würde, brachte sie mir eines Tages meinen
Offizierswimpel und die Kriegsflagge ins Haus.
Nun ging alles sehr schnell. Ich wurde aus dem Marinedienst entlassen, wenn
man unter dem roten Regiment überhaupt noch von Entlassung sprechen konnte
und kehrte zu meiner alten Reederei zurück, der ich mein ganzes Leben
lang treu blieb. Auch meine Reederei hatte im Krieg viele Schiffe verloren,
darunter auch meine geliebte "Suomi", die in der Ostsee von einem russischen
U-Boot in Brand geschossen wurde und versank. Zwei von den Schiffen,
die uns noch verblieben waren, und zwar "Wandrahm" und "Brook" , mußten
an die Engländer abgeliefert werden, und wir selber mußten sie
nach Firth of Forth bringen. Den Dampfer "Wandrahm" habe ich rüber
bringen müssen, er wurde auf Leeth Reede von den Tommys übernommen.
Unsere Besatzung wurde auf einer Hulk interniert und wir wurden wie Gefangene
behandelt. Unwürdig haben sich die Engländer uns gegenüber
benommen und irgendwie kann man das nie vergessen. Nach drei Wochen,
sie hatten immerhin zirka 390 deutsche Zivilisten zusammen, die Schiffe rüber
bringen mußten, wurde ein Transport zusammengestellt, der unter Polizeibegleitung
nach Edinburgh befördert wurde. Die Bevölkerung benahm sich unglaublich,
bespuckte uns, bewarf uns mit Unrat und rief uns Schimpfworte nach.
Man kann das nicht beschreiben. Von Edinburgh ging es in einem verschlossenen
Zug, mit herabgezogenen Gardinen nach Grimsby und von dort aus sollten wir
nach Hamburg zurückgeschickt worden. Die Behandlung war einfach
nicht zu verstehen, denn der Krieg war lange zu Ende. Nun, unser Gepäck
war von Edinburgh nicht mitgekommen und so weigerten sich die Deutschen,
an Bord zu gehen. Sie wollten ohne ihr Gepäck nicht fahren. Die
Engländer stellten das Ultimatum, entweder an Bord gehen oder wieder
eingesperrt werden. Es war eine richtige Aufruhr unter den Leuten.
Wir hatten eine Kommission gebildet, die mit den Engländern verhandeln
sollte. Sie bestand aus vier Kapitänen und ich mußte den
Sprecher machen. Wir verhandelten dann mit den englischen Offizieren und
kamen nach drei Stunden überein, daß das Schiff mit den 270 Mann
auf Reede gehen sollte und die restlichen 30 Mann sollten an Land auf das
Gepäck warten. Angeblich sollte das Gepäck mit einer Sonderlokomotive
geholt werden, aber wer wußte genau, ob die Versprechungen eingehalten
würden. Die bisherige Behandlung ließ uns sehr an den Versicherungen
zweifeln. Ich warnte noch den Kapitän, ja nicht die Reede zu verlassen,
denn die Leute waren zu aufgebracht. Wer weiß, was alles noch hätte
passieren können. Um 12 Uhr nachts kamen die Sachen aber dann
doch an und wurden mit Leichtern an Bord gebracht. Jeder untersuchte
kritisch, ob auch noch alles im Gepäck war. Um drei Uhr morgens
wurden dann die Anker gelichtet und wir waren froh, die ungastliche Insel
verlassen zu können. Viele viele Schiffe der deutschen Handelsmarine
gingen diesen letzten Weg nach England und zuletzt hatten wir nur noch uralte
Schiffe in unseren Häfen liegen und das waren auch nur ganz wenige.
Zwischen den Weltkriegen bei H.M.G. - Mittelmeer
Aber die Seefahrt ist ein Lebensnerv und so fuhren wir dann auch
bald wieder unsere gewohnten Touren nach Finnland und Schweden. Bis
1926 fuhr ich auf dem Dampfer "Haparanda" und im Ausland konnte ich nach den
langen Kriegsjahren manchen alten Freund begrüßen, denn Finnland
war ja durch die jahrelangen Fahrten dorthin meine zweite Heimat geworden.
Im August 1926 übernahm ich dann den Dampfer "Stubbenhuk", ein Neubau
der Reederei. Mit diesem Schiff machten wir auch manche Reise nach
dem Süden ( Mittelmeer etc )..
Meine Familie wohnte in Wilhelmshaven und immer wenn mein Schiff in Hamburg
oder Bremen war, fuhr ich in die alte Marinestadt, um ein paar Tage bei meinen
Lieben sein zu können. Mein Junge schnüffelte dann immer
an meinem Gepäck und an meinem Mantel herum und meinte, das alles riecht
so schön nach Schiff. Heute ist er Arzt, aber alles was meine Reederei
angeht, interessiert ihn noch immer. Meine Familie hat auch manche Reise
nach Finnland mitgemacht und mein Sohn fühlte sich dann inmitten der
Matrosen am wohlsten, sah aber abends meistens aus, als wäre er den
ganzen Tag im Kohlenbunker gewesen und meine Frau hatte dann alle Mühe,
ihn wieder einigermaßen sauber zu bekommen. Gern hielt er sich an Bord
auch beim Koch in der Kombüse auf, denn der hatte natürlich für
ihn immer etwas in Reserve. Wenn die Matrosen den Bengel dann mit dem großen
Bordschlauch naß spritzten, war er in seinem Element. Meine Frau
machte dann auch noch große Reisen nach Spanien und Italien mit, aber
davon später.
Im Frühjahr 27 machte ich eine Reise über Hull und London, wo wir
eine Ladung Pech übernehmen sollten und damit hatten wir dann auch Pech.
Die Ladung sollte nach Nizza, aber bei der großen Hitze in Südfrankreich
war das ganze Zeug zusammengeschmolzen und klebte wie Pech. So mußte
die ganze Ladung mit Haken losgeschlagen worden, es war eine mörderische
Arbeit. Jedenfalls dauerte der ganze Löschvorgang ungefähr fünf
Wochen. Das war natürlich ein unvorhergesehener Aufenthalt und
in Hamburg mögen sie nicht schlecht geflucht haben, denn Zeit ist Geld
und die Schiffe wurden dringend gebraucht. Ich habe mir aber während
der Zeit die herrliche Umgebung angesehen und die Ferien genossen.
Auch in den Spielsälen von Monte Carlo habe ich versucht, die Bank
zu sprengen, aber meine anfänglichen kleinen Gewinne blieben am Ende
doch in den Händen des Croupiers. Die Rückfahrt an Bord konnte
ich aber noch selber bezahlen. Na, bei dem Pech, das wir geladen hatten
und das dann zu unserem Pech zusammenschmolz, mußte das Pech im Spiel
ja kommen, aber wer denkt schon daran ---
Die Riviera ist wirklich wunderschön, Cannes, Mentone, Rio Negro und
wie die Orte alle heißen. Die Spielsäle waren auch sehr
interessant und es machte Spaß zu beobachten, wie die Spieler bei Verlusten
sichtlich nervös wurden. Hauptsächlich viele Frauen waren da, die
offensichtlich vom Spielteufel besessen waren. Im Mai 27 bekam ich von unserm
Charterer - das Schiff war nämlich von einem englischen Kaufmann gechartert
worden - die Order, in Ballast nach Ibiza zu fahren. Ibiza ist eine
kleine wunderschön gelegene Insel, der Hafen eine bezaubernde Bucht
ohne die üblichen Hafenanlagen, die oft so nüchtern und unschön
sind. Als Urlaubsziel ist Ibiza heute schon weltbekannt. Dort erhielt ich
eine weitere Order, nach Rivadeo (Nordspanien) weiter zu reisen. Auf
unserer Seekarte konnten wir aber nicht herausbekommen, wo Rivadeo liegt.
Ich mußte mir dann erst an Land genaue Auskunft holen und als alles
geklärt war, wurden die Anker gehievt und die Fahrt konnte losgehen.
2400 Seemeilen mußten wir zurücklegen, um nach Rivadeo zu kommen.
Das Wetter war gut, nur die Biskaya machte eine Ausnahme. Da stürmt
es aber meistens, das wurde auch schnell wieder vergessen.
Am 26. Mai trafen wir dann in Rivadeo ein mit einer kleinen Bucht
im freien Atlantik als Hafen. Dort sollten wir eine Erzladung übernehmen.
Von weither kamen Besucher, das schöne saubere Schiff ansehen, denn die
meisten Erzdampfer sahen recht schmutzig aus, während unser Schiff weiß
gestrichen in der Sonne nur so glänzte. Wir nahmen auch ungern
Erzladungen an Bord, es war hier das erste Mal. Das Zeug staubt fruchtbar
und dringt in die entferntesten Ecken und man hat viel Last, so ein Schiff
nachher wieder sauber zu bekommen. Wir mußten hier nun aber, weil nur
ein Ladeplatz da war, warten, bis der andere Dampfer beladen war. Das dauerte
drei Tageund als wir glücklich an der Reihe waren, lag unser Ladeplatz
direkt am Eingang der Atlantikbucht, also verhältnismäßig
ohne Schutz von Land. Ein Glück war es, daß das Wetter ruhig war,
sonst hätte man mit unangenehmen Zwischenfällen rechnen müssen.
Bei nördlichen Winden ist es unmöglich, dort ein Schiff zu beladen.
Der Lotse war rein alles in einer Person, Lotse, Hafenkapitän, Makler,
Agent, Bootsmann und Schiffshändler. Telegraf und Telefon gab
es dort nicht. Die Ladung wurde aus 10 Meter Höhe je 10 Tons ins
Schiff geschüttet. Man kann sich wohl denken, wieviel Staub es
da zu schlucken gab. Wir waren jedenfalls alle heilfroh, als wir nach vier
Ladetagen endlich in See stechen konnten.
Ich selber hatte während der Hafentage keine Minute Ruhe, immer war
ich in Sorge, die Atlantikdünung könnte unsere Trossen zerreißen,
denn dann wäre nämlich unser Schiff in großer Gefahr gewesen.
Ja, so ist bei der Seefahrt immer etwas los, aber mein Glück hatte mich
auch dieses Mal nicht verlassen.
Im Juni dampften wir dann wieder gegen England, nach Immingham. So
eine Erzladung ist das übelste, was man sich denken kann, denn die Ladung
ist unberechenbar und bei schlechtem Wetter nicht ungefährlich. Wir
waren alle froh, als wir das Zeug wieder von Bord hatten, uns hatte diese
Reise gelangt. Als wir unsere Ladung gelöscht hatten, fuhren wir
den Bumber herauf nach Goole, auch wieder ein Platz, der von Schiffsführern
nicht sehr geschätzt wird, denn bei Springtide läuft da bis neun
Kilometer Strom, so daß man mit einem langsamen Schiff gar nicht erst
den Versuch machen braucht, dagegen zu fahren. Man könnte die
unangenehmsten Überraschungen erleben. Mein Reeder nahm nach Möglichkeit
keine Fracht an, die für diesen Hafen bestellt war. Wir hatten aber
Glück und kamen mit einer Tide den Humber hinauf, aber so eine Fahrt
geht der ganzen Besatzung auf die Nerven. Wir luden Kohlen für
Gent.
Am nächsten Morgen vor Hochwasser wurden wir durchgeschleust und
waren heilfroh, als wir dann nachmittags die freie See erreicht hatten.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, aber bei der Seefahrt gibt es verschiedene
Sachen, die einem nicht zusagen, so auch die Barre bei Opotto, trotzdem muß
man die Häfen anlaufen, wenn es verlangt wird.
In Ballast dampften wir von Goole nach Hamburg, die Timecharter war am Ende,
aber unterwegs hatten wir noch Mühe genug, unser mitgenommenes Schiff
wieder auf Hochglanz zu polieren, denn der Stolz einer jeden Reederei und
des Kapitäns ist nun mal ein schmuckes Schiff. Unsere Passagiere meinten
immer, hier wird wohl nur gepinselt und gestrichen, so viel Farbe gibt es
ja gar nicht auf einmal.
Auf vielen Reisen hatte ich Passagiere mit, meistens gute Freunde des Reeders,
den Reeder selbst oder auch die Mitarbeiter der Firma. Sie alle brauchten
ja auch einmal Erholung und wollten auch gerne die Schiffe kennenlernen,
für die sie hinter dem Kontorschemel arbeiteten und dafür sorgten,
daß der ganze Betrieb wie am Schnürchen lief. Man könnte
nun von all diesen Reisen sehr viel erzählen, denn es wurde auf solchen
Reisen doch manches nette Fest gefeiert und mancher Ulk getrieben, aber wir
waren ja auch noch nicht so alt wie heute. So gab es z.B. die Lebensrettung
eines über Bord gefallenen Freundes, der auf dem schwankenden Boot des
Gleichgewicht verlor. Daß eine kleine Feier vorausging, will
ich nicht verschweigen, aber es war trotzdem keine unerlaubte Spritztour,
denn die Frau des armen Opfers war auch dabei. Jetzt, nach vielen Jahren
sprechen und lachen wir noch gerne über das nette Fest und das unverhoffte
Bad ist auch noch nicht vergessen. Wenn ich aber alle meine Erlebnisse
schildern wollte, die ich so im Laufe meiner langen Fahrenszeit gehabt habe,
käme ich mit meinen Aufzeichnungen nie zu Ende. Eines ist aber sicher,
keine Stunde meiner Fahrenszeit möchte ich missen, sie waren trotz Sturm
und oft kritischen Situationen im ganzen genommen eigentlich immer schön.
Zu Hause nennt man mich den unsterblichen Optimisten, aber ich bin mit meinem
Optimismus immer gut gefahren.
Am 1.12.1929 wurde mir unser neustes und größtes Schiff, die
"Wandrahm" anvertraut. Wieder ging es auf Fahrt in meine zweite Heimat.
Alle drei Wochen war ich dann vier Tage zu Hause und so wechselte das im
steten Gleichmaß.
Im Januar 1935 machten wir eine Reise für Sloman, von Hamburg über
Rotterdam, Le Havre mit Stückgütern nach Malaga, Almeria, Cartagena,
Alicante, Valencia, Tarragona, Barcelona, St.Filou, Marseille, Toulon, Genua,
Livorno, Neapel, Savona und nach Hamburg zurück. Diese Reise machte
meine Frau mit und für sie war diese Fahrt in mehr als einer Hinsicht
denkwürdig, aber ich will der Reihe nach erzählen.
In Malaga lagen wir drei Tage und wir hatten Zeit, manchen schönen Ausflug
zu machen und Gelegenheit, recht viel zu sehen. Mir machte es Freude,
meiner Frau alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Wir fuhren auch einen
Tag nach Granada, wo gerade die Mimosen blühten. Man fuhr fast die ganze
Strecke unter blühenden Mimosen hindurch und der Duft war fast betäubend.
Daß meine Frau, die Blumen über alles liebt, mit einem Arm voll
Mimosen an Bord zurückkam, versteht sich von selbst.
Nach dieser Sturmfahrt wurden die Tourenfahrten nach Finnland wieder aufgenommen.
Dort freute man sich immer, wenn Hannes mal wieder aufkreuzte und an Bord
war dann auch immer etwas los. So z.B. zur Zeit des Alkoholverbotes
fanden sich stets durstige Seelen an Bord ein und für die guten Freunde
war auch immer irgendein guter Tropfen vorhanden. Manche vergnügte
Stunde wurde verlebt und immer wurde auch dieser und jener Streich ausgeheckt.
Vor langen Jahren hatte ich einen guten und ziemlich wohlhabenden Freund in
Finnland, der, wenn er im Winter an Bord kam, meist einen dicken Pelzmantel
trug. Dieser Mantel hatte es mir angetan, den hätte ich gerne gehabt,
denn auf der offener Brücke wäre er gerade das richtige Kleidungsstück
gewesen. Ich hätte mir ja einen Mantel anschaffen können,
aber da tat mir die große Ausgabe leid. Nun, wir waren an Bord
eine vergnügte Runde und so im Laufe des Gesprächs fragte ich mal
leise an, ob er mir den Mantel nicht verkaufen wolle. Na, in der schon vorgerückten
Stimmung erklärte er sich bereit, mir den Mantel zu überlassen
und der Handel wurde abgeschlossen. Als er aber nun morgens nach Hause wollte,
griff er nach seinem Mantel, aber ich sagte zu ihm: "Soweit kommt das, erst
den Mantel verkaufen und dann wieder mitnehmen wollen!". Erst begriff er
gar nicht, was ich von ihm wollte, aber schließlich erinnerte er sich,
daß er ja eigentlich den Mantel verkauft hatte. Nun wurde gehandelt
und ich vermietete ihm den Mantel, d.h. er mußte eine Leihgebühr
bezahlen, billig war die Gebühr aber nicht. Er zog nun mit seinem Leihmantel
ab, brachte ihn aber prompt am Nachmittag zurück. Wir haben dann noch
ein paar Stunden ausgelassen gefeiert. Jahrelang habe ich dann den Mantel
an Bord getragen, bis sich die Motten über ihn hergemacht haben.
Hatte ich im Sommer meine Familie auf einer Reise an Bord, wurden in Finnland
schöne Touren unternommen und das Land der tausend Seen hat so viel
schöne Plätzchen, daß man immer wieder gerne in dieses Land
zurückkehrt. Wir waren am Imatra, haben herrliche Stromschnellenfahrten
gemacht , waren Gast bei lieben Freunden auf den Scharen und sahen alles,
was Finnland so liebenswert macht. Auch Estland ist uns nicht unbekannt geblieben,
aber heute hat der Russe dieses Land, da bleibt es für uns verschlossen.
Manchmal mußten unsere Schiffe auch mal andere Routen fahren und so
hatte ich verschiedene Aufträge nach Archangelsk.
Im Juni 35 war einmal solch eine Reise fällig. Wir verließen
Hamburg und traten bei schönem Wetter die Fahrt zu den Iwans an. Die
Fahrt durch die Lofoten war einmalig schön, die hohen schneebedeckten
Berge, die Wasserfälle und überhaupt die ganze Landschaft machte
auf uns einen großen Eindruck. Wir fuhren bis zum Nordkap.
In den nördlichen Lofoten leben die Menschen hauptsächlich von ihrem
Fischfang. Sie sind äußerst anspruchslos und freuen sich sehr,
wenn ihnen mal ein Schiff begegnet, das ihnen ihre Fänge abkauft, d.h.
sie machen Tauschgeschäfte. Man sieht auf der Fahrt viele kleine
Wasserfahrzeuge. Die Fischer fangen ihre Fische meist mit der Angel.
Wir bekommen für eine Flasche Schnaps billigster Sorte (wir nannten
das Zeug nur Dynamit) und für ein halbes Pfund Tabak zirka 500 Pfund
Fische. Es klingt übertrieben, aber es ist Tatsache. Die Bevölkerung
der Lofotengegend ist sehr arm, aber die Menschen sind trotzdem zufrieden.
Von Politik und dem großen Weltgeschehen hören sie kaum
etwas, vielleicht sind sie deshalb glücklicher als wir. Da wir auf dem
Weg nach Rußland waren und wußten, daß es dort nicht viel
zu kaufen gab, haben wir uns auf diesem Wege einen kleinen Proviantvorrat
angeschafft, die Fische eingesalzen und so konserviert.
Als wir auf der Höhe den Nordkaps waren, wurde der Lotse bei einer kleinen
Insel abgesetzt. Er blieb dann dort, bis wir ihn auf der Rückreise wieder
an Bord holten. Dunkel wurde es überhaupt nicht, denn wir hatten die
Zeit der Mitternachtssonne. Natürlich blieb man nachts immer viel länger
auf, denn durch die durchgehende Helle, wurde man gar nicht müde
und es gab auch zu viel Schönes zu sehen.
So wurde dann die Reise fortgesetzt, bis wir den Bestimmungshafen erreicht
hatten. Wir waren also in Rußland. Im Hafen fand dann auch
gleich eine strenge Untersuchung statt, denn Mißtrauen war dort an
der Tagesordnung. Alle mußten an Deck antreten, nur ich als Kapitän
durfte in meiner Kajüte bleiben. Alles mußte ab- und angegeben
werden, die kleinste Kleinigkeit. Meine Frau hatte an Bord einen alten
Mantel zurückgelassen, den sie an Deck anzog, wenn schlechtes Wetter
war. Dieser Mantel erregte nun das Mißtrauen der Untersuchungskommission.
Wo ein Frauenmantel war, mußte auch eine Frau sein, meinten sie, und
nun wurde jede Ecke und jeder Winkel untersucht, um die zu dem Mantel gehörende
Frau zu entdecken. Natürlich konnten sie keinen Erfolg haben,
denn es war ja wirklich keine Frau an Bord. Na, eine Frau war nicht
da, also nahmen sie den Mantel mit. Drei Tage dauerte es, bis sie das
gute Stück zurückbrachten und 100 Rubel Strafe mußte ich
obendrein auch noch bezahlen, weil ich den Mantel nicht angegeben hatte.
Ich hatte aber wirklich nicht daran gedacht. Es ist bestimmt kein Vergnügen,
mit den Russen zu verhandeln. Die Mannschaft durfte im Hafen keinen Schritt
an Land gehen und das Schiff wurde dauernd bewacht. Wenn ich an Land
zu tun hatte, wurde ich auf Schritt und Tritt verfolgt, unauffällig
meinten sie wohl, aber ich habe es doch gemerkt. So geht doch nichts über
die Freiheit, aber die hat man in Rußland nicht.
Leid tat es uns, zusehen zu müssen, wie die Frauen die schwere Arbeit
des Löschens und Ladens verrichten mußten. Zirka 80 Frauen
waren in den Laderäumen beschäftigt, aber die Arbeit ging langsam
voran, weil diese Tätigkeit für Frauen viel zu schwer war.
Am 4. Juli hatten wir aber unsere Holzladung im Schiff. Vor unserer Ausreise
erfolgte noch einmal die gleiche Untersuchung wie vorher, sie fanden aber
nichts mehr und wir konnten endlich abdampfen. So ein russischer Hafen
ist irgendwie nicht ganz geheuer und wir atmeten auf, als wir wieder auf
See waren. Am 12. Juli holten wir am Nordkap unsern Lotsen
wieder ab. In Hagstad mußten wir noch Bunkerkohlen übernehmen,
dann ging es heimwärts.
Am 16. kamen wir in Altona an, dort sollte ein Teil der Ladung gelöscht
werden, den Rest der Ladung brachten wir nach Stadersand bei Stade. Auf der
Elbe mußten wir erst noch ankern, weil man nur bei Hochwasser in die
Schwinge kommen konnte. Es war an einem Sonntag und das herrlichstes Wetter,
als wir am Ziel ankamen. Halb Stade stand auf dem Deich, denn ein so
großes Schiff war noch nie in Stadersand, da gab es natürlich
was zu sehen und zu bestaunen. Der Wirt Brummer machte an dem Tag ein besonders
gutes Geschäft.
Am 27. Juli dampften wir nach Cuxhaven um dort Bunkerkohlen aufzunehmen und
machten uns anschließend gleich auf die Reise nach Onega am weißen
Meer. Dort kamen wir am 12. August an. Wieder die verrückten Untersuchungen
und das grenzenlose Mißtrauen, wieder die vielen Frauen, die die schwere
Arbeit verrichten mußten. Da wir aber im Hafen wegen des niedrigen
Wasserstandes nur einen Teil der Ladung übernehmen konnten, mußten
wir auf Reede gehen, fast 10 Meilen von Land ab und dort wurde dann der Rest
der Ladung an Bord genommen. Die Arbeiter und Frauen blieben die Zeit
über an Bord. In großen Kesseln, die die Russen selber mitbrachten,
wurde für die Leute gekocht, hauptsächlich eine dünne Gemüsesuppe
ohne Fleisch, also ganz armselig. Über den Abfall, den unser Koch an
Deck schüttete, fielen die Frauen wie ausgehungerte Wölfe her,
da blieb aber auch kein Krümel übrig. Klar, daß der
Koch die sogenannten Abfälle mit kräftigen Fleischstücken
würzte. Uns taten die Menschen furchtbar leid, aber es war strengstens
verboten, den Russen etwas anzubieten. Heimlich haben wir ihnen aber doch
immer etwas zukommen lassen, die Abfälle waren in Wirklichkeit keine.
Die armen Menschen spürten auch die Absicht und waren so dankbar dafür.
Man mochte die hungrigen Augen aber auch nicht mehr sehen und uns schmeckte
unser Essen auch schon nicht mehr, wenn wir an das Elend dachten.
Um meine Papiere bei der Agentur in Ordnung zu bringen, fuhr ich eines Tages
mit einem Boot an Land. Stadt konnte man den Ort kaum nennen. Postamt, Telegrafenamt
oder so etwas wie ein Telefon gab es nicht. Die nächste Post hätte
man mit einem Pferdefuhrwerk vielleicht in 24 Stunden erreichen können.
Genau 24 Stunden brauchten ich auch, um meine Papiere in Ordnung zu bekommen.
Wollte ich nun aber an Bord zurück, so dauerte es eine Ewigkeit, bis
sich ein Fischer bereit erklärte, mich auf mein Schiff zu bringen, gegen
hohe Bezahlung natürlich.
Auch jetzt waren wir froh, daß wir endlich unsere Rückreise antreten
konnten und dankten Gott, daß wir nicht gezwungen waren, in diesem
Land der Knechtschaft und Unterdrückung leben zu müssen. Unsere
Ladung ging nach Hull und dann fuhren wir nach Hamburg. Es geht nichts über
den Heimathafen und wenn man in fremden Ländern war, freut man sich
immer wieder auf das heimatliche Bild unserer schönen Hansestadt Hamburg.
Bis 1937 wurde dann die Tourenfahrt wieder aufgenommen, Hamburg-Helsingfors-Kotka.
Da wir Post und Tourendampfer waren, hatten wir immer unseren bestimmten Liegeplatz,
z.B. in Helsingfors direkt am Marktplatz vor dem Palais des Staatspräsidenten.
Die Abfertigung lief wie am Schnürchen, denn alles war von See aus schon
vorbestellt. Wir hatten nämlich als erstes Schiff der Reederei drahtlose
Telegrafie an Bord.
Mein Patent bekam ich verhältnismäßig schnell., so etwa wie bei der Marine. Ich hatte verschiedene Herren von der Debag an Bord, die den neuen Apparat überprüften und da haben wir uns über das abzulegende Examen unterhalten. Bei Ankunft in Hamburg ging ich gleich, wie ich es mit den Herren der Debag verabredet hatte, zum Postkontor, um dort meine Prüfung zu machen. Ich hatte mich auf der Reise schon mit der ganzen Geschichte vertraut gemacht und kannte den Apparat schon ziemlich genau. In einer viertel Stunde hatte ich mein Diplom in der Tasche, bezahlte die Gebühr von sechs Mark und damit war der Fall ausgestanden. In einem netten Weinlokal haben wir dann zur Feier des Tages noch ein kleines Frühstück eingenommen und dann konnte ich hoch befriedigt abziehen. Als ich dann zu meinem Chef kam, meinte er, ich müsse mich nun aber erst mal tüchtig auf den Hosenboden setzen, denn so eine Prüfung wäre gar nicht so einfach, und es würde da viel verlangt. Als ich dann schmunzelnd mein Patent aus der Tasche zog und es ihm zeigte, wollte er es erst gar nicht glauben und war einigermaßen platt. Unser Prokurist, der in der Nähe stand, rief: "Schiebung". Wie ich die Sache gefingert habe, um so schnell an mein Patent zu kommen, habe ich aber nicht verraten. Hauptsache war ja nur, daß ich es hatte.
Im August hatte ich zwei Passagiere mit, und zwar unsern Dr. Höpfner
und noch einen Dr., der Name ist mir entfallen. Beide Herren waren Reserveoffiziere,
Am 31. August, es sah politisch schon sehr kritisch aus, dampften wir von
Kotka ab. Man mußte schon recht vorsichtig fahren und sich immer in
Küstennähe halten, denn jeden Augenblick konnte der Krieg ausbrechen.
Am 2. September 1939 hörten wir über Stockholm-Radio, daß
der Krieg ausgebrochen war. Ich hielt gleich auf die Schwedenküste
zu, um die Hoheitsgrenze zu erreichen. Meine beiden Passagiere hatten
natürlich auch Sorge, daß sie evtl. gekapert werden könnten.
Wir dampften von Kalmarsund nach Süden, als wir am Horizont Schiffe
sahen. Meine beiden "Reserveoffiziere" meinten, das könnten polnische
Zerstörer sein, und dachten schon daran, auszusteigen. Die Flagge
konnten wir zwar nicht ausmachen, aber ich sah doch, daß es Schweden
waren. Ich sagte aber nichts und unseren beiden Doktoren fiel ein Stein
vom Herzen, als sie es dann auch feststellten. Darauf wurde dann ein Schluck
genommen. Man wollte schließlich nicht gerne in Kriegsgefangenschaft
geraten, ehe der Krieg begonnen hatte. Wir kamen aber am 4. September. glücklich
in Hamburg an und konnten beruhigt an Land gehen.
Nun hatte erst mal der Krieg das Wort und so wurde unser Schiff auch gleich
von der Marine beschlagnahmt. Das Schiff sollte gleich als Hilfskreuzer
umgebaut werden. Ich mußte meine brave "Wandrahm" nach
Kiel auf die Howaldtswerft bringen, wo der Umbau vorgenommen werden sollte.
Um den Umbau zu leiten und zu beaufsichtigen, mußte ich an Bord bleiben,
denn ich war ja auch Reserveoffizier. Es wurde nun feste an dem Schiff
herumgebaut, zwei Torpedorohre kamen ins Zwischendeck und vier 8 cm Kanonen
an Deck. Die "Wandrahm" sollte als Tarnschiff Dienst tun, aber es stellte
sich dann später heraus, daß sie nicht schnell genug war.
Als Kommandant kam ein jüngerer Kapt. Lt. an Bord, er sollte den Oberbefehl
an Bord haben. Ich hätte dann diesem Jüngling unterstanden.
Das paßte mir aber ganz und gar nicht, denn ich hatte schließlich
auch meine Erfahrungen, war einmal Gruppenführer der Nordseevorpostenflottille
und fühlte mich durch dieses Ansinnen doch sehr in meiner Ehre gekränkt.
Ich fuhr noch einige Probefahrten mit, um dem Kommandanten zu zeigen, wie
so ein Schiff mit einer Schraube manövriert wird und verließ dann
am 27. 9. ziemlich bedrückt mein gutes schönes Schiff.
Sofort meldete ich mich wieder bei meiner Reederei, aber schon nach
kurzer Zeit wurde ich wieder von der Marine angefordert und kam als Prisenoffizier
nach Swinemünde. Dort war ich dem Admiral Hinse unterstellt.
Wir waren dort in vier Gruppen eingeteilt, jede Gruppe bestand aus einem
Kapitän der Handelsmarine, einem Schiffsmakler und einem Fachmann der
Spionageabwehr. Unsere Kreuzer hatten die Aufgabe, fremde Schiffe, die in
der Nord- oder Ostsee angetroffen wurden, aufzubringen und zur Untersuchung
nach Swinemünde zu geleiten, sozusagen als Prise. Hier wurden
die Schiffe untersucht, denn auch unter der neutralen Flagge konnten sich
feindliche Fahrzeuge befinden. Waren die Papiere in Ordnung und die Nationalität
festgestellt, konnten die neutralen Schiffe natürlich ihre Fahrt fortsetzen,
aber so manches Schiff war doch ein guter Fang.
Eines Tages brachte man uns einen estnischen Dampfer und was wir da
erlebten, muß ich etwas ausführlicher berichten. Dieses
Schiff bekam ich zur Untersuchung. Es war ein Passagierschiff, das 1000 Ladetonnen
hatte und zwischen Reval und Stockholm fuhr. Im April wurde also dieses
Schiff von dem Hilfskreuzer "Preußen" bei Dagerort aufgebracht, bekam
ein Prisenkommando an Bord und zur Untersuchung ging es dann nach Swinemünde.
Mit meiner Gruppe und zehn Soldaten gingen wir dann sofort an Bord und in
dem Kapitän entdeckte ich einen alten Bekannten aus Reval, ebenso die
Stewardessen kannte ich zum Teil. Die Schiffspapiere waren soweit in Ordnung,
nur fehlte die Passagierliste, obwohl 187 Fahrgäste an Bord waren.
Wir hatten nun das Recht, das Schiff als Prise zu erklären. Es wurde
unter Bewachung gestellt und kein Passagier durfte an Land gehen. Drei
Tage dauerte die Untersuchung. Wer einen ordnungsmässigen Paß
hatte, wurde von einer Wache an Land gebracht und bei der nächsten Gelegenheit
nach Schweden abgeschoben. Die meisten Passagiere hatten wir schon untersucht
und nun ließ sich alles schon besser übersehen. Um nun noch
den Versuch zu machen, vielleicht in einem Privatgespräch von dem Kapitän
des Schiffen noch wichtige, d.h. für uns wichtige Informationen zu bekommen,
hatte ich an Bord ein kleines Frühstück arrangiert. So bei einem
Glässchen wird man ja meistens etwas redseliger, Als dann der Kapitän
mal für einen Augenblick den Salon verließ, kam die Stewardeß
zu mir und flüsterte mir ins Ohr, ich möchte doch mal eben an Deck
kommen, sie hätte mir etwas zu sagen. Oben angekommen sagte sie
leise: "Dieser große Herr mit dem blauen Anzug ist ein Engländer."
Na, der wurde nun natürlich genau unter die Lupe genommen, sein Gepäck
wurde beschlagnahmt und nun auch die gesamte Ladung untersucht. Der
Engländer wurde als feindlicher Ausländer an Land gebracht und unter
Bewahrung gestellt. Beim Löschen den Zwischendecks fanden wir 20 große
Kollis voller Dokumente, die von Rußland über Reval-Stockholm
nach England gebracht werden sollten. Hätte die Stewardeß -
aus welchem Grund sie es tat, weiß man nicht - den Mann nicht
verraten, er wäre wahrscheinlich mit seinem Gepäck in England angekommen.
Es kommt aber noch besser. Der Engländer selber gehörte zu
den Großen der englischen geheimen Staatspolizei. Das Schiff wurde
nun natürlich um und um gekehrt und als es bis zum Grund leergemacht
war, fanden wir noch 3000 Kilo Gold in Barren. Junge, Junge, das war
ein Fang! Das Geld wurde gleich in Sicherheit gebracht und in England wartete
man vergeblich auf den Goldsegen.
Im Juli hatten wir dann mal einen Dänen im Hafen, der auf der Fahrt
von England nach Riga war, er hatte Kohlenladung an Bord. Mit dem Kapitän
des Schiffes konnten wir nicht klarkommen, er haßte die Deutschen wie
die Pest, aber der 1. Offz. war im Gegensatz zum Kapitän ein großer
Deutschenfreund. Nun, das hatten wir auch bald raus und machten uns
an den 1. Off. ran. Im Laufe der Unterhaltung, die wir in seiner Kajüte
führten, wurde er recht redselig und verriet uns, woher sie kamen und
wie die Geleitzüge an der englischen Küste zusammengestellt wurden.
Er verriet uns außerdem, wo gewisse Bojen lagen und wie alle Fahrrinnen
verliefen. Ich ließ mir dann noch die Seekarten aushändigen
und nahm sie mit an Land. Für uns war das eine ganz wichtige Sache
und mein Admiral freute sich sehr, daß wir auf so einfache Weise so
wichtige Informationen bekommen hatten. Natürlich wurde auch dieses
Schiff zurückbehalten. Ich schlug dem Admiral vor, den 1. Offz.
des Dampfers mit an Land zu nehmen und zum Essen einzuladen. Gesagt,
getan und der Off. wurde auch während des Essens wieder recht mitteilsam
und wir erfuhren wieder sehr wichtige Dinge und noch am gleichen Tage mußte
ein Kurier unsere Mitteilungen nach Berlin bringen. Ein Flugzeuggeschwader
wurde dann gen England geschickt. Unsere Flugzeuge trafen dann auch
richtig den Geleitzug, 14 große Handelsdampfer, die von mehreren Zerstörern
begleitet wurden. Sie waren auf dem Weg nach Rußland und wollten
die Route übers Nordkap nehmen. Der Geleitzug wurde versenkt, die Zerstörer
schwer beschädigt. Der 1. Offizier, der uns das alles verriet, wurde
auf Umwegen in die Heimat zurück geschickt.
Bis Dezember war ich noch in Swinemünde, es war ein eiskalter Winter.
Da bekam ich aus Berlin Order, mich dort bei der Admiralität zu melden.
Ich wurde dort über meine frühere Tätigkeit bei der Handelsmarine
ausgefragt, man wollte mich zu einem Sonderauftrag nach Nurmansk schicken,
aber als sie hörten, daß mir hauptsächlich die finnischen
Häfen bekannt waren, sagte man mir, sie müßten sich erst
noch überlegen, welchen Auftrag ich dann übernehmen könne,
Murmansk käme für mich nicht in Frage. Mir fiel ein Stein
vom Herzen, denn der Auftrag war mir nicht ganz geheuer. Ich fuhr erst mal
zu meiner Familie nach Wilhelmshaven und da gerade Weihnachten war, freuten
wir uns alle, nach so langen Jahren endlich einmal an diesem Festtag zusammen
sein zu können. An die pausenlosen Fliegerangriffe hatten wir
uns schon gewöhnt und eine ganze Nacht im Bett bleiben zu können,
gehörte zu den Seltenheiten.
Meine Reederei hatte mich inzwischen schon reklamiert und man gab mich
eines Tagen auch tatsächlich an H.M.G. ab. In Hamburg wurde ich
zunächst einmal Inspektor, denn der alte Inspektor war als Begleitoffizier
eingezogen. Die Zeit in Hamburg war nicht gerade sehr schön, denn
die ewigen Fliegerangriffe, die mehr und mehr an Stärke zunahmen, gingen
uns allmählich auf die Nerven. Hamburg und Wilhelmshaven, die
beiden Städte, die mir teils beruflich, teils familiär am Herzen
lagen hatten allerlei auszuhalten und so wurde dann auch im März meine
Wohnung in Wilhelmshaven zerstört.
Von meiner Firma bekam ich sofort Urlaub, um von meinen Möbeln noch
retten zu können, was zu retten war. Wochenlang haben wir in den
Trümmern herumgesucht und alles, was noch brauchbar war, verpackt und
sichergestellt. Nur durch die Hilfsbereitschaft einiger guter Freunde,
die uns Soldaten und Packmaterial zur Verfügung stellten, gelang es
uns, einen Teil unserer Sachen zu bergen. Wir stellten dann alles in einem
Bauernhof bei Peine unter. Durch die vielen Strapazen in der Zeit,
zog ich mir eine schwere Lungenentzündung zu und so mußte ich
noch wochenlang als schwerkranker Mann in Wilhelmshaven bleiben. Während
der Luftangriffe, die praktisch jede Nacht erfolgten, trug man mich in den
Schutzkeller. Als ich dann einigermaßen wieder hergestellt war,
ich hatte 40 Pfund abgenommen, fuhren wir nach Hamburg, und einige Tage später
reiste ich zur Erholung nach Freiburg, wo ich von meiner Frau erwartet wurde.
Sie war schon Wochen vorher nach Freiburg gefahren, weil sie die Angriffe
nicht mehr ertragen konnte und sich dort erholen sollte. Von der Schwere
der Krankheit hatten wir ihr nichts gesagt, um sie nicht zu beunruhigen und
so bekam sie einen furchtbaren Schreck, als sie mich in Freiburg am Bahnhof
in Empfang nahm. In einem kleinen Schwarzwalddorf nahe der Schweizer
Grenze erholte ich mich aber so schnell, daß man mich einige Wochen
später in Hamburg kaum wiedererkannte, so dick war ich geworden, Meine
Frau fuhr in Steinen mit dem Rad zu den Bauern und ergatterte für mich
Milch und Eier, dadurch hatte ich mich so schnell wieder erholen können.
Bald aber trat ich dann meinen Dienst als Inspektor wieder an und dann begann
die Zeit, wo der Feind es hauptsächlich auf Hamburg abgesehen hatte.
Mein Sohn, der in Hamburg verheiratet war und dort bei seinen Schwiegereltern
eine nette Wohnung hatte,
stellte uns diese Wohnung zur Verfügung, denn er mußte an die
Ostfront und seine Frau wollte in einem Krankenhaus als Ärztin tätig
sein. Die Villa war am 25. Juli 1942 von einer Bombe getroffen
worden, konnte aber wieder repariert werden. Ein Jahr später im
Juli waren dann auch die Handwerker fertig und das ganze Haus sah wie neu
aus. Wir schafften unsere Koffer nach Wandsbek, hatten auch schon viele
Sachen aus Wilhelmshaven dorthin geschickt und wollten am 26. Juli einziehen.
Am 25. abends um elf Uhr fuhren meine Frau und ich noch einmal zur Gryhiusstrasse
um dort noch eine Nacht bei meiner Schwester zu verbringen. Schon unterwegs
überraschte uns der Fliegeralarm, aber wir kamen noch in den Schutzraum,
Als dann Entwarnung war, brannte es an allen Ecken der Stadt und besonders
über Wandsbek war der Himmel blutrot. Hamburg hatte den ersten
Tag der Terrorwoche erlebt. Unvorstellbar das Elend auf den Straßen,
die vielen Toten, Chaos überall. Mein Sohn rief dann aus Wandsbek an,
daß wir nicht mehr einziehen könnten, denn die ganze Straße
und auch das Haus seiner Schwiegereltern sei ein Schutthaufen. Nur
das nackte Leben konnten sie retten. Wir waren der Verzweiflung nahe und
auf dem Weg zu den Kindern durch brennende Straßen liefen uns die Tränen
die Wangen herunter und nur der Gedanke, daß unsere Lieben heil davongekommen
waren, tröstete uns.
Meine Frau, mein Sohn, meine Schwiegertochter und mein Enkel fuhren noch
am gleichen Tag fort. Wo sollten sie auch bleiben? -Meine Schwägerin
und ich bleiben noch in Hamburg, aber am nächsten Tag waren die Angriffe
noch schlimmer. Wir verbrachten dann die nächsten Nächte außerhalb
Hamburgs. Tagsüber brachte ich mit unseren Schiffen viele Flüchtlinge
aus Hamburg heraus, es war ein trostloser Anblick, all die verzweifelten Menschen
zu sehen und nicht helfen zu können, weil man ja auch nur einer von
den vielen war.
Die Tochter meiner Schwester wohnte in Hamburg-Hamm, verließ uns nachmittags,
um nach ihrer Wohnung zu sehen. Sie versprach uns, gegen Abend zurück
zu kommen, es kam Alarm, Angriff auf Hamm, und wir haben nie wieder etwas
von der Tochter meiner Schwester gesehen. Sie muß bei dem teuflischen
Angriffen irgendwo verbrannt sein. Gesucht haben wir in den zerstörten
Straßen, aber kein noch so kleinen Anhaltspunkt war zu finden.
Heute ruht sie sicher in einem der Massengräber.
In Hamburg konnten wir nun auch nicht mehr bleiben und so fuhren wir nach
Volksdorf, dort war ein Auffanglager für Flüchtlinge eingerichtet.
Die N.S.V. versorgte all die armen Menschen so gut es ging und so lange, bis
ein Weitertransport möglich war. Ich weiß nicht, wieviel
tausend Menschen in diesem kleinen Ort warteten, es war wie in einem Ameisenhaufen,
dabei eine unvorstellbare Hitze. Wir schliefen in der Walddörferschule
auf der Erde. Man hatte etwas Stroh in die Klassen geschüttet,
aber an Schlaf war sowieso nicht zu denken.
Fahrzeuge aller Art brachten laufend neue Flüchtlinge aus Hamburg, und
selbst die runden Müllabfuhrwagen spuckten diese Unglücklichen aus.
Es war in diesen Tagen allen egal, nur raus aus dem Hexenkessel, mag wohl
jeder gedacht haben. Nach einigen Tagen kamen Lastwagen und holten die Menschen
ab. Wir fuhren nach Ahrensburg, um dort zu versuchen, einen Zug nach
Rotenburg zu bekommen. Aber um dorthin zu kommen, mußte man über
Lübeck, Lüneburg und Büchen fahren, weil die Elbbrücken
zerstört waren. Wir brauchten nahezu 12 Stunden, um in Rotenburg anzukommen.
Hier begann für uns eine Zeit, an die wir nicht gerne zurück denken,
denn der Aufenthalt war eigentlich nur als Übergang gedacht und dauerte
14 Jahre. Wir haben das Schicksal vieler Ausgebombter und Flüchtlinge
geteilt, mit all seinen Schikanen und Unzulänglichkeiten. Wir
sehnten uns nach einem eigenen Heim, aber wir mußten lange darauf warten.
Von Rotenburg aus setzte ich meinen Dienst bei H.M.G. fort, fuhr jeden
Tag nach Hamburg und kam oft erst spät in der Nacht nach Rotenburg zurück,
weil unterwegs die Züge immer wieder angegriffen wurden. Im Oktober
mußte ich nach Schweden, um ein Schiff von H.M.G., den Dampfer "Stockholm",
der einen Zusammenstoß hatte und in 25 Meter Wassertiefe gesunken war,
zu bergen. Die Versuche der Bergungsdampfer, das Schiff zu heben, gelangen
und es wurde nach Oskarshamn eingeschleppt. Die Reparatur sollte aber
in Schweden so viel kosten, das wir das Schiff dort nur notdürftig reparierten
und dann von dem Bergungsdampfer nach Hamburg bringen ließen.
Diese Behelfsreparatur kostete auch schon 40.000 Kronen. Die Havarie
verschaffte der Besatzung ausnahmsweise mal eine Weihnacht bei Muttern.
Ungefähr ein ganzes Jahr nahm die Reparatur in Anspruch und so konnte
die "Stockholm" erst im Dezember 1944 wieder in Dienst gestellt werden. Als
erste Ladung war Düngemehl nach Norwegen zu bringen. Die Besatzung
kam wieder vollzählig an Bord und Kapitän Fock, wir nannten ihn
nur den kleinen Fock, fuhr seine erste Reise als Kapitän. Er war ein
guter Seemann und verstand auch viel von der Navigation. Die Reise ging nach
Bergen, durch den Kanal, Belt, Skagerrak bis nach Stavanger, natürlich
unter Geleitschutz von Minensuchbooten. Eine kurze Strecke konnten
die Hoheitsgrenze nicht gehalten werden und da wurden sie von englischen
U-Booten torpediert, Niemand wurde gerettet, denn die Engländer fischten
keine Schiffbrüchigen auf, jedenfalls nicht in diesem Fall. Uns tat
es sehr leid, daß Kapitän Fock seine erste Reise als Kapitän
gleich mit dem Leben bezahlen mußte und auch die übrige Besatzung,
die ein ganzen Jahr auf ihr Schiff gewartet hatte, mußte nun doch noch
ein Opfer dieses unseligen Krieges werden.
Im Mai 1945 war der Krieg zu Ende und so konnte ich mein Amt an Herrn
Richters zurückgeben und erst mal zu Hause bleiben. Zehn Schiffe
hatte meine Reederei verloren, eins bei Tobruk, zwei waren von den Russen
beschlagnahmt worden, fünf Schiffe holten sich die Russen noch im Hamburger
Hafen, die Besatzung mußte die Schiffe verlassen und der Russe setzte
sich darauf fest. Zwei Schiffe nahm sich dann noch die Engländer.
So verblieben H.M.G. nur noch fünf Schiffe und so kam es, daß
eines Tages der Dampfer "Söderhamn" der Reederei H.M. Gehrkens das größte
Schiff der deutschen Handelsmarine war, 1499 BRT groß. Das war
nun der Stolz der deutschen Handelsmarine.---
1946 nahm ich meinen Dienst wieder auf, und nun galt es, die von den Siegern
abgeholzten deutschen Wälder nach England zu bringen, im bunten Wechsel
mit "Pitea", "Baumwall", "Söderhamn" und "Haparanda" sowie "Hernösand"
nach verschiedenen englischen Häfen.
1951 durften wir mit gütiger Erlaubnis der "Sieger" die ersten Schiffe
auf Stapel legen, aber sie mußten genau nach Vorschrift gebaut werden,
also auch noch mit Kohlenfeuerung. Man taufte sie auf die Namen ihrer Vorgänger
'"Brook" und "Wandrahm". 1952 wurden diese Neubauten in den Hamburg-Westafrika-Dienst
eingesetzt.
Im Jahre 1953 erlaubte uns der Tommy dann, die Schiffe auf Ölfeuerung
umzustellen, denn die Kohlenfeuerung war unrentabel geworden. Es ging
wieder aufwärts mit uns und laufend wurden neue Schiffe gebaut.
Ich durfte auch mit meinen bald 75 Jahren noch manche Reise auf diesen Schiffen
machen und war verschiedene Male in Afrika.
50 Jahre H.M.G.
Mein 50jähriges Jubiläum hat mir meine Reederei ganz besonders festlich
gestaltet. Sie gab mir zu Ehren ein Essen auf der "Seuten Deern" und da merkte
ich doch, daß man meine Tätigkeit anerkannte und ich habe mich
sehr über die Ehrung gefreut.
Das 125jährige Jubiläum der Reederei H.M.Gehrkens wurde sehr
festlich begangen und ich durfte auch an dieser Feier im Hamburger Ratskeller
teilnehmen. Viele prominente Hamburger und auch viele ausländischen
Gäste waren anwesend, es wurden große Reden gehalten und die Stimmung
war hervorragend.
Besonders freute ich mich immer, wenn ich eine Probefahrt mitmachen durfte.
Ich weiß nicht, ob man mich verstehen kann, aber wenn man wie ich,
fast sein ganzes Leben bei der Seefahrt verbracht hat und davon noch die
meiste Zeit bei der gleichen Reederei, so nimmt man an allem teil, was die
Reederei angeht, man hat das Gefühl, als gehörte man doch dazu.
Ich bin nun endgültig in den Ruhestand getreten, aber mein Herz ist
doch in Hamburg bei meinen Schiffen und H.M.G. geblieben. Es gibt nichts,
was mich, soweit es die Firma angeht, nicht interessieren könnte.
Im Abendblatt verfolge ich immer die Routen der Schiffe und dann wünsche
ich mir immer, wieder am Anfang meiner Laufbahn zu stehen.
1956 machte ich mit meiner Familie eine Reise nach Finnland und Schweden,
zum ersten Mal als Passagier, aber die meiste Zeit war ich wie in alten Zeiten
auf der Brücke. Otto Harms, einer unserer Prokuristen und ein
guter Freund von mir, fuhr auch mit. Wir haben gemeinsam unvergeßlich
schöne Stunden verlebt und auch all unsere Erlebnisse aus früherer
Zeit wurden wieder lebendig. Die beiden Brüder Harms, Paul und Otto sind
beide, ich möchte sagen Bestandteil der Reederei H.M.Gehrkens, in ihren
Händen liegt viel Verantwortung und so lang ich denken kann, haben sie
ihre ganze Arbeitskraft in den Dienst der Reederei gestellt und haben bestimmt
einen ganz großen Anteil an den Erfolgen der Firma und am Aufbau der
H.M.G.-Handelsflotte.
So will ich nun meine Erinnerungen beenden. Ich bin dem Schicksal dankbar,
daß ich noch erleben durfte, daß meine Reederei wieder eine schöne
ansehnliche Flotte hat, der ich allezeit glückliche Fahrt wünsche.
60 Jahre meines Lebens habe ich bei der Seefahrt verbracht, aber wenn ich
noch einmal zu wählen hätte, ich würde wieder Seemann werden,
denn mein Leben gehört der Seefahrt und wie alt ich auch werden mag,
das Wasser und die Weite des Meeres lassen mich niemals los.
Wilhelmshaven, den 1.April 1957 Johannes Hubert.
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